ver.di-Innovationsbarometer 2023: Arbeits- und Fachkräftemangel besonders kritisch in systemrelevanten Dienstleistungsbranchen

ver.di Innovationsbarometer 2023 zum Arbeits- und Fachkräftemangel

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat in ihrem aktuellen Innovationsbarometer den Umgang von Unternehmen mit der Fachkräftesicherung im Dienstleistungsbereich untersucht und dazu 579 Betriebs-, Personal- und Aufsichtsratsmitglieder befragt. Die Ergebnisse zeichnen ein düsteres Bild: Der demografische Wandel führt zu erheblichen Personalengpässen, die Unternehmen vor große Herausforderungen stellen. Doch welche Branchen sind besonders betroffen und welche Maßnahmen können helfen, den Fachkräftemangel zu bewältigen?

Die Dringlichkeit des Problems

„Die Probleme sind enorm, denn die Angehörigen des zahlenstärksten Babyboomer-Jahrgangs 1964 werden in diesem Jahr sechzig Jahre alt. Die demografiebedingten Abgänge aus dem Arbeitsmarkt werden Ende der 2020er Jahre ihren Höhepunkt erreichen. Personalengpässe machen sich dadurch noch sehr viel deutlicher in den Unternehmen und Verwaltungen bemerkbar als bislang, und zwar auf allen Qualifikationsstufen: bei Angelernten, dual Ausgebildeten und Expert*innen mit Hochschulbildung“, betont Rebecca Liebig, Bundesvorstandsmitglied von ver.di.

Diese Aussage verdeutlicht die Dringlichkeit des Problems: Der bevorstehende Ruhestand der Babyboomer-Generation wird zu einer massiven Abnahme der verfügbaren Arbeitskräfte führen. Unternehmen müssen daher jetzt handeln, um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Betroffene Branchen und Qualifikationsstufen

Fachkräftesicherung ist in allen Branchen ein Thema, aber unterschiedlich ausgeprägt. Besonders dringender Fachkräftebedarf bei Hochqualifizierten besteht in der Ver- und Entsorgungsbranche, dem Finanzdienstleistungssektor und der öffentlichen Verwaltung. Fachkräfte mit einer dualen Berufsausbildung werden besonders im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in der öffentlichen Verwaltung gesucht. Arbeitskräfte für angelernte Tätigkeiten werden vor allem in Verkehrs- und Logistikunternehmen benötigt.

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Besonders dramatisch sind die Auswirkungen im Gesundheits- und Sozialwesen. Hier geben 81 Prozent der befragten Interessenvertreter*innen an, dass die Qualität der Leistungen unter dem Personalmangel leidet, und 59 Prozent berichten von einer Verringerung des Angebots. Diese Zahlen sind alarmierend und zeigen, dass der Fachkräftemangel in systemrelevanten Bereichen zu gravierenden Qualitäts- und Versorgungsproblemen führt.

Ursachen und Auswirkungen des Fachkräftemangels

„Es ist kein Zufall, dass die Liste der Engpass-Berufe von systemrelevanten und zukunftssichernden Tätigkeiten angeführt wird. Am deutlichsten wird dies im Gesundheits- und Erziehungsbereich, wo Qualitätseinbußen immer auch Gefährdungen der Gesundheit, Bildungsrückstände und soziale Benachteiligung erzeugen. Schlechte Arbeitsbedingungen verschärfen den Fachkräftemangel – sie sind eine der wichtigsten Ursachen für die überdurchschnittlich hohe Teilzeitquote in diesem Bereich“, kritisiert Liebig.

Schlechte Arbeitsbedingungen sind demnach ein zentraler Faktor, der den Fachkräftemangel verstärkt. In Berufen, die ohnehin als belastend gelten, wie im Gesundheits- und Erziehungsbereich, führen ungünstige Arbeitsbedingungen zu einer hohen Teilzeitquote und einem verstärkten Rückzug aus dem Beruf. Dies wiederum verschärft die ohnehin prekäre Personalsituation.

Lösungsansätze zur Fachkräftesicherung

Um Personal zu gewinnen und zu halten, wird nach Einschätzung der Befragten viel zu wenig innerhalb der Betriebe unternommen – und oft nicht das Richtige. Zu den von den Interessenvertreter*innen für notwendig gehaltenen Maßnahmen gehören:

  • Förderung gesunder und nachhaltiger Arbeit (91 Prozent): Arbeitsplätze müssen so gestaltet werden, dass sie die Gesundheit der Mitarbeitenden fördern und nachhaltig sind. Dies beinhaltet sowohl physische als auch psychische Aspekte und trägt zur langfristigen Zufriedenheit und Bindung der Mitarbeitenden bei.
  • Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familienarbeit (90 Prozent): Flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice-Möglichkeiten und unterstützende Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind entscheidend, um Fachkräfte zu binden und neue zu gewinnen.
  • Mehr Angebote zur Weiterbildung (85 Prozent): Kontinuierliche Weiterbildungsmöglichkeiten sind essenziell, um die Qualifikationen der Mitarbeitenden auf dem neuesten Stand zu halten und ihnen Entwicklungsperspektiven zu bieten. Dies trägt auch zur Attraktivität des Arbeitgebers bei.

Aktuell stimmen jedoch nur 26 Prozent der Befragten vollständig oder eher der Aussage zu, dass ihr Unternehmen eine vorausschauende Personal- und Qualifizierungspolitik verfolgt, um dem Arbeitskräftemangel bestmöglich zu begegnen. Diese geringe Zustimmung zeigt, dass viele Unternehmen noch erheblichen Nachholbedarf haben, wenn es darum geht, proaktive und zukunftsorientierte Maßnahmen zur Fachkräftesicherung umzusetzen.

Fazit

Der Fachkräftemangel im Dienstleistungsbereich ist ein drängendes Problem, das durch den demografischen Wandel weiter verschärft wird. Besonders betroffen sind systemrelevante Branchen wie das Gesundheits- und Sozialwesen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen Unternehmen jetzt handeln und die Arbeitsbedingungen verbessern, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern sowie kontinuierliche Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten. Nur so können sie langfristig Fachkräfte gewinnen und binden und den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein.

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