Digitalisierung, Automatisierung und die Entstehung neuer Berufsbilder stellen wachsende Anforderungen an die Kompetenzen von Arbeitskräften. Eine aktuelle Analyse im Rahmen der Randstad-ifo-Personalleiterbefragung Q4/2024 zeigt, wie Personalverantwortliche in deutschen Unternehmen die aktuelle Situation der Berufsausbildung einschätzen. Die Ergebnisse zeichnen ein kritisches Bild: Viele Unternehmen sehen sowohl die Auszubildenden als auch das gegenwärtige Ausbildungssystem nicht ausreichend für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet. Diese Einschätzung deutet auf eine drohende Ausbildungskrise hin, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährden könnte.
Bedarf an grundlegenden Veränderungen im Ausbildungswesen
Die Umfrageergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Eine überwältigende Mehrheit von 77 % der befragten Unternehmen fordert eine grundlegende Veränderung der Berufsausbildung. Dabei kristallisieren sich zwei zentrale Forderungen heraus. Zum einen wünschen sich 71 % der Unternehmen modernere Berufsschulen und zeitgemäßere Lehrpläne, die den aktuellen Entwicklungen und Anforderungen der Arbeitswelt besser Rechnung tragen. Zum anderen plädieren 52 % der Betriebe für eine intensivere und effektivere Zusammenarbeit zwischen den Berufsschulen und den ausbildenden Unternehmen. Diese Zahlen unterstreichen die dringende Notwendigkeit, das duale Ausbildungssystem weiterzuentwickeln und an die sich wandelnden Gegebenheiten anzupassen.
Besetzung von Ausbildungsplätzen als zunehmende Herausforderung
Ein weiteres alarmierendes Ergebnis der Befragung ist, dass 61 % der Unternehmen Schwierigkeiten haben, ihre angebotenen Ausbildungsplätze zu besetzen. Dieses Problem betrifft verschiedene Branchen, wobei die Industrie mit 67 % am stärksten betroffen ist. Aber auch im Handel (63 %) und im Dienstleistungssektor (53 %) stellt die Besetzung von Ausbildungsstellen eine signifikante Herausforderung dar. Trotz dieser Schwierigkeiten zeigen sich die Unternehmen weiterhin engagiert: 85 % planen, auch in der kommenden Saison neue Ausbildungsplätze anzubieten. Dies unterstreicht die grundsätzliche Bereitschaft der Betriebe zur Ausbildung, verdeutlicht aber gleichzeitig die Notwendigkeit, die Attraktivität der Ausbildung für junge Menschen zu steigern und passgenauere Angebote zu schaffen.
Qualifikationsdefizite bei Ausbildungsbewerbern
Ein wesentlicher Grund für die Unzufriedenheit der Unternehmen mit dem Ausbildungssystem liegt im beobachteten Qualifikationsniveau der Ausbildungsbewerber. So beklagen 64 % der befragten Betriebe ein mangelhaftes Qualifikationsniveau der jungen Menschen, die sich um eine Ausbildungsstelle bewerben. Hier zeigen sich branchenspezifische Unterschiede: Industrieunternehmen bemängeln die Qualifikation von Bewerbenden mit 66 % am häufigsten, gefolgt vom Dienstleistungssektor mit 64 % und dem Handel mit 62 %. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass es eine wachsende Diskrepanz zwischen den Anforderungen der Wirtschaft und den tatsächlichen Fähigkeiten und Kenntnissen der Schulabgänger gibt.
Notwendigkeit zeitgemäßer Ausbildungsinhalte
Um diese Qualifikationslücke zu schließen, fordert Sandra Dickneite, Ausbildungsexpertin bei Randstad Deutschland, eine Anpassung der Ausbildungsinhalte. Sie betont, dass die Ausbildung zeitgemäße Inhalte vermitteln müsse, die besser zur beruflichen Praxis passen. Insbesondere die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit seien von zentraler Bedeutung, da sie sowohl Konzerne als auch kleinere Betriebe maßgeblich beeinflussen und somit deren Wettbewerbsfähigkeit bestimmen. Dickneite unterstreicht zudem die Wichtigkeit, Potenziale junger Talente zu erkennen und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese im Arbeitsalltag einzubringen. Dies erfordere Anreize und die Förderung von Eigenverantwortung, beispielsweise durch kleine Projekte, die den Auszubildenden eine positive Zukunftsperspektive aufzeigen und ihnen ermöglichen, ihre individuellen Stärken einzubringen.
Stärkung der Kooperation zwischen Lernorten
Ein weiterer wichtiger Aspekt für eine praxisnahe Ausbildung ist die Zusammenarbeit zwischen Berufsschulen und Betrieben. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen (54 %) sieht hier Verbesserungsbedarf. Sandra Dickneite betont die Bedeutung des Austauschs, beispielsweise in Form von Betriebsbesuchen von Lehrkräften, um Unterrichtsinhalte und die tatsächliche Arbeitsrealität besser zu verzahnen. Eine weitere Möglichkeit sieht sie darin, Auszubildende als „Praxisbotschafter“ in ihre ehemaligen Schulen zu schicken, um zukünftige Schulabgänger praxisnah über verschiedene Berufe zu informieren. Darüber hinaus könne der Austausch mit anderen Ausbildungsbetrieben ein regionales Netzwerk an Know-how schaffen und den Horizont aller Beteiligten erweitern. Die Stärkung dieser Kooperationen erscheint als ein entscheidender Faktor, um die Qualität der Ausbildung zu verbessern und die Auszubildenden besser auf die Anforderungen der Arbeitswelt vorzubereiten.
Die Sicht der Ausbildungsbetriebe auf den Punkt
Die Randstad-ifo-Personalleiterbefragung Q4 2024 zeigt deutlich die Unzufriedenheit vieler Unternehmen mit dem aktuellen Zustand der Berufsausbildung. Ein mangelhaftes Qualifikationsniveau der Ausbildungsbewerber, veraltete Lehrpläne und eine unzureichende Zusammenarbeit zwischen Berufsschulen und Betrieben werden als zentrale Probleme identifiziert. Gleichzeitig besteht ein hoher Bedarf an Fachkräften, der durch die aktuellen Ausbildungspraktiken offenbar nicht gedeckt werden kann. Die Unternehmen fordern daher dringend eine Modernisierung des Ausbildungssystems, insbesondere durch zeitgemäße Ausbildungsinhalte, die den Anforderungen der Digitalisierung und Nachhaltigkeit Rechnung tragen, sowie eine verbesserte Verzahnung von Theorie und Praxis. Trotz der Besetzungsschwierigkeiten zeigen sich die Betriebe weiterhin bereit, Ausbildungsplätze anzubieten, was die fundamentale Bedeutung der dualen Ausbildung für die deutsche Wirtschaft unterstreicht. Um die Ausbildungskrise abzuwenden und die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern, sind gemeinsame Anstrengungen von Unternehmen, Berufsschulen und Politik unerlässlich. Die Ergebnisse der Befragung liefern wichtige Impulse für die notwendigen Reformen.
→ Ergebnisse Randstad-ifo-Personalleiterbefragung 4. Quartal 2024