Recruiting-Realität: Warum Job-Interessierte Unternehmen links liegen lassen – und wie man das ändern kann

Studien zeigen die Recruiting-Realität und bieten gute Argumente, die Stellschrauben im eigenen Recruiting besser zu justieren

Studien-Ergebnisse der letzten Wochen machen sehr deutlich, dass die Probleme bei der Besetzung offener Stellen oft hausgemacht sind. Das Gute daran: Man kann auch aktiv etwas dagegen tun.

Nicht nur die Zahl unbesetzter Stellen, auch die Vakanz-Dauer macht Unternehmen das Leben schwer. Gerade zeigt eine Studie von Onlyfy, dass 63% der Arbeitgeber mehr als drei Monate (bis hin zu mehr als 12 Monate) zur Besetzung einer Blue Collar-Stelle brauchen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, aber auch auf die Belastung der Mitarbeitenden. Wenn andere Daten belegen, dass gleichzeitig auch eine hohe Wechselbereitschaft vorhanden ist, dann muss man sich schon die Frage stellen, warum es vielen Arbeitgebern nicht gelingt, diese zu nutzen und Jobwechsel-Interessierte für sich zu gewinnen. Und da kommen die erwähnten Studien wieder ins Spiel.

Tempo macht einen echt erlebbaren Unterschied

Die Erwartungen von Bewerbenden in Sachen Schnelligkeit nehmen weiter zu. Neulich habe ich in einem LinkedIn-Post einen Kommentar gelesen, dass vier Wochen von Erstkontakt bis zur verbindlichen Entscheidung als unverschämt lange empfunden werden. Das mag man noch als überzogene Erwartung einer einzelnen Person abtun. Aber eine aktuelle Studie von Stepstone zeigt, dass die Messlatte hoch liegt: bereits 61% der Bewerbenden erwarten ein verbindliches Feedback binnen einer Woche. Davon dürfte unserer Erfahrung und Beobachtung nach das Gros der Arbeitgeber meilenweit von entfernt sein.

Für das Recruiting heißt das ganz klar: Ran an den Prozess

In vielen Unternehmen sind die Recruiting-Prozesse lang und äußerst unterschiedlich; es mischen viele Personen mit; es wird an Formalia (z.B. Vollständigkeit von Unterlagen) festgehalten; es fehlen zeitliche Ressourcen bei Entscheidern; vieles wird noch manuell bearbeitet und selbst wenn Systeme im Einsatz sind, werden sie oft nicht effektiv genutzt, sondern drumherum gearbeitet.

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Deshalb hat das Recruiting hier mit der Optimierung der Recruiting-Prozesse einen richtig großen Hebel in der Hand, um Bewerbererwartungen besser gerecht zu werden. Und so weniger Bewerbende zu verlieren und mehr Stellen schneller zu besetzen. Denn – auch das ist ein Ergebnis der Stepstone-Studie – zwei Drittel der befragten Arbeitnehmer*innen entscheiden sich eher für ein Unternehmen, bei dem der Ablauf schnell und unkompliziert ist. Auch deshalb, weil 75% aus dem erlebten Verfahren auch Rückschlüsse auf die Unternehmenskultur ziehen.

Was Recruiting/HR für mehr Tempo tun kann und was noch oft bremst

Ansatzpunkte zur Optimierung der Recruiting-Prozesse sind z.B.

  • Straffung und Harmonisierung von Workflows
  • klarere Kommunikation intern und mit Bewerbenden
  • mehr Verbindlichkeit im Handeln der Beteiligten
  • mehr digitale/ IT-Unterstützung bzw. effektivere Nutzung von vorhandenen Tools

Offenkundig tun sich Recruiting-/HR-Bereiche damit aber recht schwer. Einen Hinweis darauf gibt auch eine jüngst durchgeführte, nicht repräsentative Kurzumfrage auf LinkedIn (Linda Papstein): Für die meisten ist der größte Pain Point im Recruiting, den Recruitingprozess kurz zu halten.

Voraussetzung, um hier etwas zu bewegen und zu verändern ist natürlich, dass Recruiting bzw. HR Prozessowner des Recruiting-Prozesses ist, hier auch proaktiv Veränderungen konzipiert und in die Umsetzung bringt und dazu sowohl die notwendigen Ressourcen als auch die Rückendeckung von oben hat.

Und hier kommt noch eine weitere Studie ins Spiel. In einer Umfrage von Personio gaben 63% der HR-Manager an, dass die Hauptfunktion von HR in der Administration liegt. Das sehen auch 57% der Führungskräfte so. HR wird zu wenig als strategischer Partner wahrgenommen, der z.B. auch durch die laufende Optimierung des Recruitings zum dringend notwendigen Rekrutierungserfolg beiträgt. Dazu passt auch die Erkenntnis der gleichen Studie, dass viele HR-Bereiche eher reaktiv als proaktiv arbeiten.

Fakten sind das eine, entscheidend ist aber das gute Gefühl der Bewerbenden

Wechselbereite Kandidaten bevorzugen wertschätzende Arbeitgeber, die transparent und ehrlich kommunizieren. Wenn dann eine Umfrage von karriere.at und hokify ergibt, dass mehr als 30% der Bewerbenden Diskriminierungserfahrungen im Recruitingprozess gesammelt haben, dann ist das kein Beleg für die gewünschte Wertschätzung und Ehrlichkeit eines Arbeitgebers.

Auch ein weiteres Studienergebnis macht mehr als nachdenklich. Laut einer Umfrage von Softgarden zur Candidate Experience können mehr als 29% der Arbeitgeber Jobinhalte in Vorstellungsgesprächen nicht erklären. Wie sollen sich Jobinteressenten dann ein Bild machen, ob der Job zu ihnen passt? Und wenn dann noch zusätzlich über 34% beim Gehalt herumdrucksen und mehr als 24% den Bewerbenden ein Gefühl der Unterlegenheit geben, dann verwundert auch eine weitere Zahl nicht:

21% der neu eingestellten Mitarbeitenden kündigt in den ersten 100 Tagen wieder. Diese Zahl ist seit 2018 deutlich um fast 10 Prozentpunkte angestiegen. Fachkräfte ohne akademischen Background treffen diese Entscheidung übrigens noch öfter. 70,5% der Befragten geben als Grund an, dass die Aussagen in der Bewerbungsphase und die Realität des Jobs nicht übereinstimmen.

Für das Recruiting heißt das klar: Ran an die Qualität von Kennenlern-Situationen

In der Praxis immer wieder beobachtbar, gibt das Recruiting angesichts der eigenen Überlastung Kennenlern-Situationen mit Bewerbenden in die Hände der Hiring Manager und nehmen nicht mehr an Vorstellungsgesprächen und Auswahlverfahren teil. Das hat Folgen für die Qualität des Bewerbungsprozesses. Und die ist Bewerbenden in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden, wie ein weiteres Ergebnis der bereits erwähnten Stepstone-Studie zeigt (79% der Befragten positionierten sich entsprechend).

Der Qualitätsabstrich kommt meist daher, dass viele Hiring Manager in Bezug auf Vorstellungsgespräche ins kalte Wasser springen. Sie führen Jobinterviews einfach mal so nach Bauchgefühl, begrenzt vorbereitet, nutzen Standardfragen, setzen sich und das Unternehmen mehr in Szene als die Bewerbenden. Fehlende Kenntnisse in Interviewtechniken, zu Sellcruiting oder der Zielgruppe lassen sie je nach Situation und Gegenüber auch nicht immer die Souveränität und Kompetenz ausstrahlen, die erwartet wird.

Und so werden Gespräche zu z.T. “unterirdischen” Erfahrungen für Bewerbende (wie so manche Bewertung und Kommentierung in Kununu zeigt). Dass die Absprungrate von Kandidaten in laufenden Prozessen ebenfalls zunimmt, wundert da wenig.

Was Recruiting für positiv erlebte Kennenlernsituationen tun kann

Ein Ansatzpunkt ist es, die durch Administration vereinnahmten Ressourcen durch eine effizientere Organisation des Recruitings sowie durch Einsatz von analogen und digitalen Tools wieder freizugeben. Dann bleibt wieder mehr Zeit für die eigentliche Kernkompetenz von Recruitern und Personalern: das People Business und die Begleitung und Beratung von Hiring Managern und Bewerbenden im Kennenlernprozess.

Ein weiterer Hebel ist die Steigerung der Recruiting-Kompetenz der Hiring Manager. Hiring Manager, die im Führen von Jobinterviews fit gemacht und im Idealfall auch gecoacht werden, haben eine deutlich höhere Handlungskompetenz in Jobinterviews, die sie – wie uns Rückmeldungen zeigen – auch selbst positiv erleben. Sie strahlen dann auch die Kompetenz aus, die sich Bewerbende von ihrer künftigen Führungskraft wünschen. Denn auch in puncto Kompetenz schließen Bewerbende durchaus vom Erleben im Jobinterview auf die künftige Zusammenarbeit.

Fazit

Schon die paar wenigen aktuellen Studienergebnisse zeigen, dass sich Arbeitgeber bei Problemen mit unbesetzten Stellen nicht so sehr auf den Fachkräftemangel zurückziehen sollten. Denn jeder Arbeitgeber hat vielfältige Möglichkeiten durch Veränderungen in seinen Recruiting-Prozessen, dem Ressourceneinsatz im Recruiting sowie in Bezug auf die Recruiting-Kompetenz im Unternehmen aktiv etwas zu unternehmen, um für Jobinteressierte einen erlebbaren Unterschied zu machen und dadurch mehr als Arbeitgeber zu überzeugen.

Was es dazu braucht ist erstens die Einsicht in diese Möglichkeit und zweitens das aktive Angehen. Und hier kann ich Recruiter und Recruiting-Bereiche nur ermutigen, in die Rolle eines proaktiven Business-Partners zu schlüpfen statt in der Rolle eines passiven Administrators und Dienstleisters zu verharren und im Hamsterrad zu laufen.

“Konzipiert Veränderungen im Recruiting, geht damit proaktiv an die Entscheider heran und zeigt, wie ihr anhand dieser Veränderungen Mehrwerte schaffen könnt – für die Hiring Manager (z.B. gesparte Zeit, bessere Auswahlentscheidung, nachhaltigere Stellenbesetzung) und das Unternehmen (besetzte Stellen, höhere Produktivität, weniger belastungsbedingte Ausfälle von Mitarbeitenden).”

Ruth Böck

Denn auch das ist ein Studienergebnis: 53% der Geschäftsführer in der Personio-Studie sagen, sie bekommen nicht genug Input und Vorschläge von HR. Und 70% sagen, dass HR künftig für Unternehmen wichtiger wird. Gut, wenn man sich dann schon in Stellung gebracht hat!

In diesem Sinne: hausgemacht hat zwei Seiten und Recruiting hat es in der Hand, ob es heißt: selbst schuld oder selbst richtig stark gemacht.

Noch ein Tipp zum Schluss

Wenn du Recruiter bist, dann schau doch mal, wo euer Recruiting aktuell auf der Stärke-Skala von eher improvisiert bis erlebbar stark steht. Der #RecruitingStarkMacher-Check hilft dabei. Hier gibt es mehr Infos und den Link zu ihm.

Die erwähnten Studien und mehr Infos dazu auf Rekrutierungserfolg.de

* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.

Ruth Böck
Ruth Böck
Hallo, ich bin einer der Köpfe von upo - Bausteine für Rekrutierungserfolg. Als #RecruitingStarkMacher unterstützen wir Recruiter, mit einem echt starken Recruiting einen erlebbaren Unterschied zu machen. Und so mehr Rekrutierungserfolg zu erzielen. Außerdem bin ich Initiatorin und Mitmacherin dieses Fachportals Rekrutierungserfolg.de. Wenn dir meine Beiträge gefallen, dann trage dich hier gerne für unser upo Magazin mit Tipps & Hinweisen für #RecruitingStarkMacher ein.