Pflege von Angehörigen: Ein unterschätzter Schlüssel von Arbeitgeberattraktivität

Ein Schlaganfall, ein Unfall, eine plötzliche Diagnose – auf einmal ist nichts mehr wie zuvor. Wir haben selbst erlebt, wie schnell ein Angehöriger aus dem Alltag gerissen wird und wie hilflos man sich als naher Angehöriger fühlt. Von einem Tag auf den anderen werden Beschäftigte zu pflegenden Angehörigen. Das bedeutet nicht nur emotionale Belastung, sondern auch enorme organisatorische Herausforderungen: Arzttermine, Pflegekoordination und bürokratische Fragen müssen neben dem Job bewältigt werden.

In Deutschland pflegen aktuell knapp 5,7 Millionen Menschen Angehörige – über zwei Drittel davon zusätzlich zum Beruf (Destatis, 2023). Viele fühlen sich dabei von ihren Arbeitgebern allein gelassen.

Trotzdem bleibt das Thema in vielen Unternehmen ein Randthema. Während Kinderbetreuung und Familienfreundlichkeit fest zur Arbeitgebermarke gehören, wird Pflegeverantwortung kaum thematisiert – dabei liegt hier ein unterschätzter Schlüssel zur Arbeitgeberattraktivität. Wer Mitarbeitende in Pflegesituationen unterstützt, handelt nicht nur menschlich, sondern stärkt Loyalität, Vertrauen und Bindung – zentrale Faktoren im Wettbewerb um Fachkräfte.

In diesem Blogbeitrag beleuchten wir, warum plötzliche Pflegesituationen Beschäftigte herausfordern, welche Folgen dies für Mitarbeitende und Unternehmen hat und wie Arbeitgeber proaktiv unterstützen können – ein entscheidender Faktor für Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeitendenbindung.

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Wenn Pflege plötzlich alles verändert

Pflege ist selten planbar. Anders als bei der Geburt eines Kindes oder der Elternzeit kommt eine plötzliche, ist meist ein Schock und verändert schlagartig den Alltag – privat und beruflich.

Betroffene Beschäftigte stehen vor mehreren Herausforderungen gleichzeitig:

  1. Emotionale Belastung: Angst, Überforderung, Schuldgefühle und Stress belasten, eigene gesundheitliche Beschwerden nehmen zu (AOK, 2024) und beeinträchtigen unweigerlich die Leistungsfähigkeit.
  2. Organisatorisches Chaos: Arzttermine, Pflegegradanträge, Reha-Organisation – all das kostet Zeit und verunsichert.
  3. Zeitdruck und Konflikte: Zwischen Job, Pflegeaufgaben und Familie entsteht ein massiver Zeitkonflikt. Zeitliche Flexibilität wird dringend benötigt, oft fehlt sie.
  4. Unsicherheit und Kommunikationshemmnisse: Viele Beschäftigte wissen nicht, wie sie das Thema gegenüber Vorgesetzten ansprechen sollen. Angst vor Benachteiligung ist dabei ein häufiger Grund.

Die Folgen sind messbar: Krankmeldungen steigen, Beschäftigte reduzieren ihre Arbeitszeit oder verlassen den Job. Laut AOK-Bundesverband reduzieren fast 25 % der pflegenden Angehörigen ihre Arbeitszeit oder geben ihren Beruf auf (AOK, 2023).

Pflege als unterschätzter Faktor für Arbeitgeberattraktivität

Während Unternehmen Kinderbetreuung oft aktiv fördern, gibt es für Pflegeverantwortung deutlich weniger Angebote. Dabei ist sie nicht nur ein Thema für Mitarbeitende, sondern ein Schlüsselfaktor für Employer Branding und Bindung von Fachkräften.

Ein organisierter, professioneller Umgang mit plötzlichen Pflegesituationen signalisiert: Hier denkt ein Arbeitgeber vorausschauend, menschlich und nachhaltig.


Sieben Maßnahmen, die Beschäftigte schätzen

Erfahrungen aus Unternehmen zeigen, dass Unterstützung in akuten Pflegesituationen nicht nur ein „Nice-to-have“, sondern ein entscheidender Faktor für die Mitarbeitendenbindung ist.

Hier sind sieben konkrete Maßnahmen, die Arbeitgeber umsetzen können:

1. Bereitstellen von Pflege-Guidelines und Notfall-Checklisten 
📌 Interne Materialien erklären Abläufe, Ansprechpartner, gesetzliche Ansprüche (Pflegezeitgesetz, Familienpflegezeit) und externe Unterstützungsangebote verständlich.

2. Einführung einer „Pflege-Lotsen“-Rolle im Unternehmen
📌 Ein HR-Ansprechpartner oder Betriebsratsmitglied berät in sensiblen Fällen. Beschäftigte wissen sofort, an wen sie sich wenden können.

3. Angebot flexibler Arbeitszeitmodelle inkl. kurzfristiger Freistellungen
📌 Angebote zur Gleitzeit, flexiblen Arbeitszeit oder zum mobilen Arbeiten (sofern noch nicht vorhanden), kurzfristige Freistellungen oder temporäre Teilzeitangebote. Zu wissen, dass das unkompliziert möglich ist, nimmt Druck und gibt mehr Spielraum

4. Kooperation mit Pflegenetzwerken und externen Beratungsstellen
📌 z.B. Partnerschaften mit Pflegestützpunkten, Caritas, Diakonie, lokalen Pflegelotsen oder Pflegekassen zur Unterstützung von Beschäftigten. Sich schnell Hilfe holen können statt selbst zu recherchieren, entlastet organisatorisch, gibt schneller Orientierung und mehr Sicherheit.

5. Angebot interner Informationsveranstaltungen und Sensibilisierungsformate
📌 z.B. Webinare oder Info-Talks mit Pflegeexperten, Peer-Gruppen von betroffenen Kolleg*innen, Erfahrungsberichte, etc. Sie sensibilisieren und schaffen mehr Verständnis für die Situation.

6. Ergänzende Angebote zur psychologischen Entlastung
📌 z.B. Zugang zu psychosozialer Beratung, Coaching-Angeboten oder betrieblichen Gesundheitsprogrammen mit Fokus auf Care-Stress. Sie helfen, Belastung zu reduzieren.

7. Aufwertung des Themas „Pflegeverantwortung“ in der Unternehmenskultur
📌 Gleichstellung von Pflegeverantwortung mit Elternschaft in Policies, Employer Branding und Führungskultur. Das kann sich z.B. auch in Stellenanzeigen widerspiegeln. Erst wenn Pflegeverantwortung aktiv in die Diversity- und Familienfreundlichkeitsstrategie integriert wird, wird echte Vereinbarkeit von Familie und Job geschaffen.

Umsetzung aus Arbeitgeberperspektive

Wer sich jetzt fragt, wie Unternehmen diese Maßnahmen strukturiert umsetzen können, der kann sich an diesen Steps entlang hangeln:

  1. Pflegekonzept entwickeln
    Ähnlich wie bei Elternzeit oder Gesundheitsmanagement sollten klare Regelungen und Prozesse definiert werden – vom Ansprechpartner über Freistellungen bis zur Informationsbereitstellung.
  2. Führungskräfte sensibilisieren
    Schulungen helfen, Führungskräfte für die Herausforderungen pflegender Mitarbeitender zu sensibilisieren und eine offene Kommunikation zu fördern.
  3. Kommunikation in der Unternehmenskultur verankern
    Pflege sollte in internen Kanälen wie Newslettern, im Intranet und auf Karriere-Webseiten sichtbar sein, um das Tabu zu brechen.
  4. Flexible Arbeitsgestaltung ermöglichen
    Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und temporäre Teilzeitoptionen sollten dort, wo es noch nicht so ist, aktiv angeboten und gelebt werden. Und damit zur Normalität zu werden statt zur Ausnahme im „Notfall“.
  5. Externe Expertise einbinden
    Kooperationen mit Pflegeberatungen oder Netzwerkpartnern geben den Mitarbeitenden konkrete Hilfen an die Hand. Und können ggf. auch bei den o.g. Punkten helfen.

Pflege als starkes Signal im Employer Branding

Pflege ist kein Randthema – sie ist Teil der Lebensrealität vieler Menschen im mittleren Alter – und damit von Mitarbeitende mit Erfahrung, Know-how und hoher Verantwortungsbereitschaft. Sie gezielt zu unterstützen, sendet ein starkes Signal: Ihr als Arbeitgeber denkt mit, vorausschauend und menschlich.

Für Employer Branding bedeutet das:

  • Erhöhung der Attraktivität für Fachkräfte in der Altersgruppe 40–60.
  • Stärkung der Loyalität und Bindung der Mitarbeitenden.
  • Positives Signal an Bewerberinnen und Bewerber: Hier wird Menschlichkeit gelebt.

Fazit: Pflege ist kein Randthema

Sie betrifft Millionen von Menschen und kann Karriere, Leistungsfähigkeit und (emotionale) Gesundheit massiv beeinflussen. Unternehmen, die hier proaktiv unterstützen, schaffen Vertrauen, reduzieren Fehlzeiten und Fluktuation und steigern ihre Attraktivität als Arbeitgeber.

Wer über Familienfreundlichkeit und Diversity spricht, muss Pflege mitdenken und Unterstützungsangebote sichtbar machen. Pflege darf kein Randthema bleiben – sie ist Teil moderner Familienfreundlichkeit, Diversity-Strategie und strategischer Mitarbeitendenbindung.

* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.

Ruth Böck
Ruth Böck
Hallo, ich bin einer der Köpfe von upo - Bausteine für Rekrutierungserfolg. Als #RecruitingStarkMacher unterstützen wir Recruiter, mit einem echt starken Recruiting einen erlebbaren Unterschied zu machen. Und so mehr Rekrutierungserfolg zu erzielen. Außerdem bin ich Initiatorin und Mitmacherin dieses Fachportals Rekrutierungserfolg.de. Wenn dir meine Beiträge gefallen, dann trage dich hier gerne für unser upo Magazin mit Tipps & Hinweisen für #RecruitingStarkMacher ein.