Man kann viel lesen über das Recruiting im Mittelstand, wie gerade in der frisch publizierten Studie von CHRIS/Monster zu den Recruiting Trends Mittelstand 2015. Wir wollen aber mal hinter die nackten Zahlen von Studien schauen und haben ein paar Personalverantwortliche aus mittelständischen Unternehmen zum Thema professionelles Recruiting interviewt. Lesen Sie hier, was Steffen Fischer von ifm electronic und Florian Neymeyer von Uzin Utz darüber denken, wie sie das Thema konkret in ihren Unternehmen in Angriff nehmen und was sie glauben, wo der Weg sie noch hinführen wird.
Rekrutierungserfolg.de: Wodurch zeichnet sich aus Ihrer Sicht professionelles Recruiting aus?
Steffen Fischer: Ein absolutes must have ist aus meiner Sicht ein attraktiver und professioneller Auftritt als Arbeitgeber, aus dem klar wird, warum sich jemand genau bei uns bewerben sollte. Auch sehr wichtig ist eine schnelle und sympathische Reaktion bei Bewerbern und Feedbacks im Recruiting-Prozess.
Florian Neymeyer: Wichtig für professionelles Recruting sind auch aus meiner Sicht die gerade angesprochenen kurzen Reaktionszeiten, aber auch die persönliche Ansprache und eine gute Atmosphäre in den Gesprächen.
Rekrutierungserfolg.de: Und was sind absolute No-Gos?
Florian Neymeyer: Keine Rückmeldung oder komplizierte, aufwändige Bewerbungstools gehen gar nicht.
Steffen Fischer: Ich halte es auch für unprofessionell, wenn man nicht sofort eine Eingangsbestätigung bei Eingang einer Bewerbung versendet oder sich lange Zeit einfach nicht beim Bewerber meldet. Außerdem ist für mich das leider gängige “Übertreiben” ein weiteres No-Go. Wenn interne Mitarbeiter externe HR-Marketingaktionen sehen, müssen sie sagen “Ja, so erleb ich mein Unternehmen”; das ist aber oft nicht so. Und ein absolutes No-Go ist meiner Meinung nach mangelnde Vertraulichkeit.
Rekrutierungserfolg.de: Was sind aus Ihrer Sicht besondere Herausforderungen für das (professionelle) Recruiting in Familienunternehmen/mittelständischen Unternehmen?
Florian Neymeyer: Die größte Herausforderung ist wohl, einen einfachen, schnellen Prozess zu leben, der den Bewerbern dennoch ein gutes Gefühl gibt. Zudem müssen die Fachbereiche von der Notwendigkeit der schnellen Reaktion überzeugt werden.
Steffen Fischer: Da kann ich nur für uns selbst sprechen. Bei der ifm liegen die besonderen Herausforderungen sicherlich darin, dass wir oft mit bekannteren Firmen in der Branche oder größeren Firmen in der Region um neue Mitarbeiter konkurrieren. Zudem ist z. B. am Bodensee, wo wir mit über 3.000 Mitarbeitern in 6 Werken präsent sind, der Suchradius regional eingeschränkt. Außerdem liegt die Arbeitslosigkeit bei 3% und wir haben praktisch in dieser Region Vollbeschäftigung.
Rekrutierungserfolg.de: Was sind aktuell Themen, die Sie im Hinblick auf die weitere Professionalisierung Ihres Recruitings beschäftigen?
Steffen Fischer: Wir beschäftigen uns aktuell sehr stark mit dem Ausbau unserer nationalen und internationalen Employer-Branding Aktivitäten. Außerdem steht der Ausbau unserer IT-Landschaft auf der Agenda. Wir versuchen darüber hinaus, die Recruiting-Aktivitäten in der gesamten Unternehmensgruppe besser zu planen und abzustimmen und auch die qualitative Personalplanung, sprich die engere Abstimmung mit den Fachbereichen, zu verbessern. Und uns treibt noch im Speziellen die Fragen, wie wir mehr Frauen in technische Führungspositionen bekommen.
Florian Neymeyer: Aktuell beschäftigen wir uns mit der Erfolgsmessung, d. h. wir suchen die für uns geeigneten Kennzahlen; zudem wollen wir falls möglich mehr Feedback von Bewerbern einholen.
Rekrutierungserfolg.de: Auf welche in Ihrem Unternehmen umgesetzten Maßnahmen zur Professionalisierung im Recruiting sind Sie besonders stolz und warum?
Steffen Fischer: Wir haben insgesamt die Mitarbeiterschaft in den letzten 10 Jahren auf über 5.000 verdoppelt. Auch in den so genannten kritischen Engpassbereichen wie bei Ingenieuren konnten letztlich alle offenen Positionen besetzt werden. Allerdings waren dazu auch mehr Anstrengungen und Ressourcen notwendig. Im direkten Fertigungsbereich sind wir mit Personaldienstleistungspartnern hochflexibel und haben innerhalb weniger Tage die Beschäftigten “am Band”. Die kurzfristige Einarbeitung funktioniert also. Schauen wir auf Kennzahlen wie “Kündigung in der Probezeit”, können wir mit Stolz sagen, dass diese sich weiter verbessert haben, obgleich sie ohnehin schon sehr gut waren. Das zeigt uns, dass unsere Recruitingqualität stimmt. Und wenn ich mir unsere Personalmarketingaktivitäten ansehe, kann ich nur festhalten: wir haben vieles ausprobiert; besonders erfolgreich waren wir aber mit “Mitarbeiter werben Mitarbeiter”.
Florian Neymeyer: Wir haben im Team einen einfachen, schnellen Prozess erarbeitet und umgesetzt. Besonders stolz sind wir darauf, weil wir das ohne aufwändige technische Unterstützung realisiert haben.
Rekrutierungserfolg.de: Was sind Hürden, die Ihnen in der Vergangenheit die Umsetzung von Veränderungen im Recruiting erschwert haben?
Florian Neymeyer: Zunächst hatten wir Kapazitätsengpässe bei der Betreuung und Umsetzung des Einstellungsprozesses; durch Effizienzsteigerungen haben wird diese nun überwunden. Die wichtigste Hürde war auch, die Führungskräfte mitzunehmen, um die Reaktionszeiten zu minimieren.
Steffen Fischer: Unser Unternehmen war in der Vergangenheit eher “öffentlichkeitsscheu” – wir mussten auch viel Kommunikation nach innen betreiben, warum wir uns z. B. als attraktiver Arbeitgeber darstellen wollen und z. B. an verschiedenen HR-Auditierungen teilnehmen. Eine weitere Hürde ist, dass wir noch zu stark ein deutsches und deutsch sprechendes Unternehmen sind oder anders gesagt: nicht alle ausländischen Kandidaten sprechen sehr gutes Englisch – geschweige denn Deutsch. Das macht uns das Recruiting nicht gerade einfach.
Rekrutierungserfolg.de: Welche Tipps können Sie anderen Unternehmen für deren Professionisierungsvorhaben mit auf den Weg geben?
Florian Neymeyer: Bei uns hat ein Ein-Tages-Workshop mit allen Personalreferenten gut funktioniert, um den Einstellungsprozess aufzusetzen. Wichtig ist dann auch ein gutes Konzept, um die Führungskräfte mitzunehmen.
Steffen Fischer: Man muss sich klar machen, was man wirklich will, welche Mitarbeiter man braucht und darauf dann eine Beschaffungsstrategie abstimmen. Es gibt nicht den Königsweg im Recruiting, man muss für sich und seinen Markt verschiedenen Wege schlichtweg ausprobieren. Wichtig dabei ist aber in jedem Fall, die eigenen Mitarbeiter einzubeziehen – da stimme ich Herr Neymeyer sehr zu.
Rekrutierungserfolg.de: In welche Richtung wird sich Ihrer Meinung nach das Recruiting allgemein in den nächsten Jahren entwickeln?
Steffen Fischer: Ich gehe davon aus, dass das Thema Digitalisierung uns sehr stark beschäftigen wird. Darüber hinaus gilt es künftig noch mehr als heute, individuelle Ansprüche zu berücksichtigen, ob von der sogenannten GenY, von Frauen oder älteren Bewerbern. Es wird sich perspektivisch alles darum drehen, sich als Unternehmen bei den Kandidaten zu bewerben – zumindest in den Engpassbereichen.
Florian Neymeyer: Ich vermute, das Recruting wird insgesamt noch persönlicher und kommt v. a. weg von komplizierten Bewerbungsformularen und -portalen.
Rekrutierungserfolg.de: Herr Fischer, Herr Neymeyer – vielen Dank für Ihre Antworten. Auch wenn Sie unterschiedlichen Herausforderungen gegenüberstehen und auch verschiedene Themen im Fokus haben, sehe ich interessante Schnittmengen: Professionalität im Recruiting verbinden Sie beide sehr stark damit, ob, wie und wie schnell mit Bewerbern interagiert wird. Sie haben beide die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, die eigenen Mitarbeiter/ Führungskräfte in die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Professionalisierung des Recruitings einzubeziehen. Und Sie gehen beide davon aus, dass das Recruiting der Zukunft deutlich individueller und persönlicher gestaltet werden wird.
Was auch immer Sie auf dem Weg dorthin angehen werden: ich wünsche Ihnen gutes Gelingen und weiterhin viel Erfolg im Recruiting.
Unsere Gesprächpartner waren:
Steffen Fischer – er ist seit über 8 Jahren Geschäftsführer Personal bei der ifm electronic und war zuvor Personalleiter bei der MTU Maintenance. Die ifm Gruppe entwickelt, produziert und vertreibt mit über 5.200 Beschäftigten in über 70 Ländern Sensortechnik für die Automatisierungsindustrie und wächst stark. Steffen Fischer hat dieses Wachstum mit innovativen Ansätzen in der Personalarbeit mit gestaltet. Zudem beschäftigt er sich mit ganzheitlichen Ansätzen in der Personalarbeit und der Unternehmenskultur. Steffen Fischer ist im Bundesverband für Personalmanager im Gesamtvorstand aktiv und leitet dort den Arbeitskreis “strategisches Personalmanagement”. (Foto © Steffen Fischer)
Florian Neymeyer – er studierte Recht und Wirtschaft in Augsburg, Mannheim und Chicago und verantwortet heute bei der Uzin Utz AG den Bereich Personal, IT und Recht. Die Uzin Utz AG ist mit rund 1.000 Mitarbeitern ein weltweit agierender Komplettanbieter für Bodensysteme. Das Versprechen der Uzin Utz AG als Arbeitgeber: Wir legen auf die persönliche und fachliche Entwicklung unserer Mitarbeiter mindestens so viel wert, wie auf das profitable Wachstum der Unternehmensgruppe. (Foto © Uzin Utz AG)
Wir haben im Februar/März 2015 insgesamt 15 Personalleiter mittelständischer Unternehmen persönlich zu einem Interview eingeladen. Eine Rückmeldung haben wir von einem Drittel erhalten. Nochmals vielen Dank an unsere beiden Interviewpartner, dass sie sich die Zeit zur Beantwortung der Fragen genommen haben.
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