Der XING Arbeitsmarktreport 2024 zeigt ein wenig erfreuliches Bild für Deutschlands Arbeitsmarkt: Die Rezession hat ihre Spuren hinterlassen, und die Anzahl offener Stellen ist auf einem Tiefstand wie zuletzt im dritten Quartal 2021. Doch obwohl es weniger offene Stellen gibt, entspannt sich die Lage in den HR-Abteilungen keineswegs. Im Gegenteil, der Druck auf Recruiter nimmt zu, und das spiegelt sich nicht nur in Zahlen, sondern auch in emotionalen Belastungen wider.
Die Lage am Arbeitsmarkt: Weniger Jobs, mehr Stress
Laut der neuen XING-Studie, für die das Marktforschungsinstitut Appinio 300 Recruiter in Deutschland befragt hat, haben 84 % der Unternehmen immer größere Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Personaler: 75 % der Befragten geben an, dass der Druck auf sie in diesem Jahr weiter zugenommen hat. Gleichzeitig empfinden fast zwei Drittel (63 %) eine hohe emotionale Belastung und Stress.
Besonders die gestiegene Vakanzzeit macht den Recruitern zu schaffen: Die durchschnittliche Besetzungsdauer offener Stellen hat sich seit 2014 verdoppelt und liegt nun bei 148 Tagen. Trotz der Rezession ist der Fachkräftemangel in vielen Bereichen allgegenwärtig und verstärkt den Druck auf HR-Teams, die sich nicht nur mit wirtschaftlichen Unsicherheiten, sondern auch mit den steigenden Anforderungen von Bewerbenden auseinandersetzen müssen.
Fachkräftemangel: Ein langfristiges Problem
Der Bericht zeigt, dass sich der Arbeitsmarkt trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen weiterhin zugunsten der Jobsuchenden entwickelt. Ein Langzeitvergleich der letzten zehn Jahre verdeutlicht dies: Die Arbeitslosenquote ist um 50 % gesunken, während die Anzahl offener Stellen um fast 46 % gestiegen ist. Der Fachkräftemangel, der sich durch diese Entwicklungen ergibt, ist längst zu einer dauerhaften Herausforderung für Unternehmen geworden.
Für Recruiter bedeutet das, dass sie sich immer stärker auf strategisches Personalmarketing und kreative Recruiting-Ansätze konzentrieren müssen, um sich im Wettbewerb um die besten Talente zu behaupten. Gleichzeitig wird von ihnen erwartet, dass sie in immer kürzerer Zeit optimale Ergebnisse liefern, was den Druck auf die HR-Abteilungen weiter erhöht.
Administrative Aufgaben: Zeitfresser im Alltag
Ein weiteres zentrales Problem, das die Studie aufdeckt, ist der hohe administrative Aufwand im Recruiting-Prozess. Die befragten HR-Experten gaben an, dass sie fast ein Drittel ihrer Zeit mit Aufgaben wie dem Screening von Bewerbungen (37 %), der Recherche geeigneter Kandidaten (36 %) sowie Onboarding und administrativen Aufgaben (35 %) verbringen. Diese „Zeitfresser“ erschweren es den Personalern, sich auf ihre eigentlichen Kernaufgaben zu konzentrieren, nämlich das Finden und Ansprechen geeigneter Kandidaten.
Recruiter wünschen sich daher mehr Zeit für die wesentlichen Aspekte ihrer Arbeit: 42 % hätten gerne mehr Zeit für die Identifizierung geeigneter Kandidaten und die Durchführung von Vorstellungsgesprächen. 36 % möchten ihr Active Sourcing, also die direkte Ansprache potenzieller Bewerbender, ausbauen. Die zunehmende Komplexität im Arbeitsalltag führt jedoch oft dazu, dass administrative Aufgaben diesen Wünschen im Weg stehen.
Künstliche Intelligenz als Lösung?
Künstliche Intelligenz (KI) könnte eine vielversprechende Lösung für dieses Problem sein. Der Einsatz von KI-basierten Tools kann helfen, administrative Prozesse zu automatisieren und somit den Arbeitsaufwand zu reduzieren. Thomas Kindler, Managing Director von XING, hebt hervor, dass gerade zeitintensive Aufgaben wie das Erstellen von Stellenausschreibungen oder die Analyse von Bewerbungsunterlagen durch KI erleichtert werden können. So wird der Fokus wieder auf die eigentliche Kompetenz der Recruiter – das Finden und Gewinnen von Talenten – gelegt.
Steigende Anforderungen der Bewerbenden
Der Fachkräftemangel wirkt sich jedoch nicht nur auf die HR-Abteilungen aus, sondern auch auf die Bewerbenden. Durch die Knappheit an qualifizierten Fachkräften können Kandidaten ihre Erwartungen an potenzielle Arbeitgeber erhöhen. Dies führt in der Praxis oft zu „Ghosting“ (wenn Bewerbende nach anfänglichem Interesse plötzlich den Kontakt abbrechen) und erhöhten Anforderungen an Arbeitsbedingungen, Unternehmenskultur und Benefits.
Laut der Studie haben 46 % der HR-Verantwortlichen mit einer zunehmenden Unverbindlichkeit seitens der Bewerbenden zu kämpfen. 20 % gaben an, häufig oder sehr häufig Ghosting zu erleben. Zusätzlich berichteten 58 % der Befragten von höheren Erwartungen der Kandidaten an Themen wie flexible Arbeitszeiten, Sabbaticals und die Möglichkeit, remote zu arbeiten. Diese steigenden Erwartungen stellen eine weitere Herausforderung für Recruiter dar, die in einem engen Zeitfenster optimale Lösungen liefern müssen.
Schnelligkeit im Recruiting: Ein entscheidender Faktor
Die Geschwindigkeit im Bewerbungsprozess wird immer mehr zum entscheidenden Erfolgsfaktor im Recruiting. Die Mehrheit der Kandidaten wünscht sich eine zügige Rückmeldung innerhalb von ein bis zwei Wochen. Längere Wartezeiten führen schnell zu Desinteresse. Für Recruiter bedeutet dies zusätzlichen Druck, da sie nicht nur qualitativ hochwertige, sondern auch schnelle Prozesse sicherstellen müssen. Lange Wartezeiten und intransparente Gehaltsangaben sind dabei die größten Frustfaktoren für Bewerbende, die den gesamten Recruiting-Prozess verlangsamen.
Strategische Anpassung der Recruiting-Prozesse
Die Studie macht deutlich, dass Unternehmen auf die zunehmenden Herausforderungen im Recruiting reagieren müssen. Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen, wie Remote Work oder neue Arbeitszeitmodelle, sind dabei zentrale Themen. Fast die Hälfte der befragten Recruiter (47 %) sieht die Flexibilisierung als einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.
Zudem wird Active Sourcing, also die proaktive Suche nach geeigneten Kandidaten, immer relevanter: 88 % der HR-Experten bewerten Active Sourcing als wichtig. Gleichzeitig stehen Weiterbildungsangebote für Recruiter hoch im Kurs: 41 % der Befragten möchten ihre Fähigkeiten in diesem Bereich ausbauen, um den steigenden Anforderungen des Arbeitsmarktes besser gerecht zu werden.
Recruiting als strategischer Erfolgsfaktor
Die Zahlen und Trends des XING Arbeitsmarktreports 2024 zeigen deutlich, dass der Fachkräftemangel und die damit verbundenen Herausforderungen nicht allein durch die Personalabteilungen bewältigt werden können. Unternehmen müssen das Thema strategisch angehen und mit ihren HR-Teams zusammenarbeiten, um attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dazu gehört nicht nur die Flexibilisierung von Arbeitsmodellen, sondern auch die Bereitstellung von Tools, die den Arbeitsalltag der Recruiter erleichtern.
Recruiting ist heute ein entscheidender Erfolgsfaktor für Unternehmen. Die Personalabteilungen stehen unter großem Druck, doch sie brauchen die richtige Unterstützung, um langfristig erfolgreich zu sein. Künstliche Intelligenz und effiziente Prozesse sind dabei genauso wichtig wie ein starkes Unternehmensmanagement, das die Bedeutung eines guten Recruiting-Teams erkennt und fördert.