Diskriminierungsfreiheit im Bewerbungsprozess: Aufholbedarf bei deutschen Unternehmen

Anonymisierte Bewerbung

Im Kampf um qualifizierte Arbeitskräfte können sich Unternehmen keine Fehltritte mehr leisten und müssen Bewerbenden bereits im Recruiting-Prozess ein hohes Maß an Chancengleichheit und Transparenz bieten. In den USA, Kanada oder Belgien sind anonymisierte Bewerbungsprozesse bereits Standard, um möglichen Diskriminierungen aufgrund persönlicher Faktoren vorzubeugen. Der Fokus wird dabei auf die beruflichen Qualifikationen, erworbenen Zeugnisse und Fähigkeiten gelenkt. Doch wie steht es um die Chancengleichheit im Bewerbungsprozess deutscher Unternehmen? Wie ticken unsere Personaler*innen und welche Maßnahmen treffen sie? Die Jobbörse Indeed hat 400 HR-Verantwortliche mithilfe des Marktforschungsinstituts Appinio befragt, wie diskriminierungsfrei Bewerbungsprozesse in deutschen Unternehmen tatsächlich ablaufen.

Anonymisierte Bewerbungsprozesse? Nein danke!

Im Gegensatz zu zahlreichen ausländischen Unternehmen besteht bei deutschen Personaler*innen eine hohe Skepsis gegenüber einem anonymisierten Bewerbungsprozess: 52 Prozent der Befragten lehnen ein solches Verfahren ab. Häufig werden Bewerbungen direkt aussortiert, wenn der vollständige Vor- und Nachname (44 Prozent), das Geburtsdatum und der -ort (23 Prozent), die Staatsangehörigkeit (13 Prozent) oder ein Bewerbungsfoto (19 Prozent) fehlen. Lediglich 16 Prozent der Personalverantwortlichen befürworten Bewerbungsunterlagen ohne persönliche Angaben wie dem Alter oder dem Namen. Vier Prozent der Personaler*innen erwarten keine persönlichen Angaben im Lebenslauf und konzentrieren sich ausschließlich auf fachliche Aspekte. Anonymisierte Bewerbungsverfahren haben sich zumindest in Deutschland also noch nicht durchgesetzt. 

Geht es nach den Einschätzungen der Personaler*innen, ist ein Großteil davon überzeugt, dass sie sich bei der Bewertung von Bewerbenden nicht von persönlichen Vorurteilen leiten lassen (60 Prozent).

Mit Blick auf die wichtigsten Fähigkeiten gewichten HR-Mitarbeitende deutscher Unternehmen Kriterien wie Sympathie (80 Prozent), Kommunikationsfähigkeit (86 Prozent) oder Soft Skills (73 Prozent) höher als den akademischen Werdegang (56 Prozent). Dabei werden die persönlichen Angaben nach wie vor als zentraler Baustein auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch betrachtet. Bemerkenswert ist, dass über ein Drittel der Personaler*innen sich das Auftreten der Bewerbenden auf den sozialen Netzwerken ansehen und in ihre Bewertung einfließen lassen (35 Prozent).

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Mit Schulungen und geschlechtsneutraler Sprache gegen Diskriminierung

Für möglichst faire Bewerbungsprozesse setzen deutsche Unternehmen bisher überwiegend auf die Schulung ihrer Personalverantwortlichen und -vertretungen (44 Prozent). Weitere 18 Prozent der Befragten haben bereits eine*n oder mehrere Diversity-Beauftragte installiert, um nachhaltig für Chancengleichheit im Unternehmen zu sorgen. Demgegenüber stehen 20 Prozent der Befragten, die keine speziellen Maßnahmen zur Vorbeugung potenzieller Diskriminierung treffen. 36 Prozent achten immerhin auf eine geschlechtsneutrale Sprache bei Stellenausschreibungen und in der Kommunikation mit Bewerber*innen. Die Nutzung eines anonymisierten Bewerbungsverfahrens hat aktuell noch Seltenheitswert bei den deutschen Unternehmen: Nur 17 Prozent der Personaler geben an, dass bei ihnen ein solches Verfahren etabliert ist.

Dr. Annina Hering, Ökonomin im Indeed Hiring Lab, kommentiert:
„In Deutschland sehen sich Unternehmen im Werben um geeignete Mitarbeiter*innen aufgrund des hohen Arbeitskräftemangels in vielen Branchen mit wachsenden Anforderungen konfrontiert. Damit stehen besonders HR-Verantwortliche zunehmend im Rampenlicht. Dies spiegelt auch die Nachfrage an CHROs unter den derzeit offenen Stellenausschreibungen wieder. Da Bewerbungen im Erstkontakt mittlerweile überwiegend digital über soziale Netzwerke wie LinkedIn oder Xing oder Jobplattformen wie Indeed ablaufen, könnte eine Anonymisierung und Automatisierung von Bewerbungsprozessen mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen etabliert werden. Dies würde den Unternehmen Entlastung bei der Akquise von neuen Mitarbeitern bringen und gleichzeitig den Standard der Chancengleichheit anheben. Da der Fachkräftemangel in der Bundesrepublik weiter anwachsen wird, sollten sich Arbeitgeber*innen besonders an internationalen Standards orientieren.”

Über die Umfrage

Die verwendeten Daten zur Befragung beruhen auf einer Online-Umfrage der Appinio GmbH, an der 400 Personaler*innen mit Recruitingerfahrung ab 20 Jahren in Deutschland zwischen dem 25.04. und 05.05.2022 teilnahmen.

Pressemitteilung