Cultural fit wanted – Unternehmenskultur muss greifbar werden

Interview Unternehmenskultur und Cultural fit

Unternehmenskultur und Cultural Fit gewinnt im Zusammenhang mit Recruiting zunehmend an Bedeutung. Kulturbasiertes Recruiting wird als Schlüssel für Rekrutierungserfolg, gelungenes Onboarding, Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung proklamiert. Es soll Fehlbesetzungen, Reibungsverluste und (Früh-)Fluktuation verringern und so Kosten sparen und den Unternehmenserfolg fördern.

Befragungen von Bewerbern zeigen, dass der Blick hinter die Kulissen entscheidend für ihre Arbeitgeberwahl ist und sie eine authentische und transparente Kommunikation über Unternehmenskultur erwarten. Auf der anderen Seite tun sich Unternehmen oft schwer darin, genau das zu leisten und in Stellenanzeigen, auf Karriereseiten oder in Business-Netzwerken und Social Media Einblicke zu geben. Keine oder nur allgemeine, floskelhafte Aussagen machen Bewerbern die Prüfung  schwer, ob sie sich mit der Unternehmenskultur des potenziellen Arbeitgebers identifizieren können. Und auch die Bewerber haben recht heterogene und unkonkrete Vorstellungen davon, was Unternehmenskultur für sie ausmacht.

Kein Wunder, wenn da Testverfahren entwickelt werden, die IT-gestützt versuchen, den Grad der Passung zu ermitteln. Auch wenn diese durchaus hilfreich sein könnten: sie stoßen bei Bewerbern oft noch auf Akzeptanzprobleme und auch die Unternehmensseite setzt sie nur zögerlich ein.

Warum Unternehmenskultur so schwer zu fassen und zu beschreiben ist und welche Chancen und Risiken Cultural-Fit-Tests haben, darüber haben wir mit Prof. Dr. Klaus Eckrich gesprochen.

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Er lehrt Unternehmensführung, Führungs- und Managementmethoden an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch-Gladbach und berät Unternehmen in Veränderungsprozessen und in Führungsfragen. Und dabei beschäftigt er sich insbesondere auch mit der Unternehmenskultur. Genau dazu hat er mit “Kulturveränderung im Unternehmen – Die verborgene Führungsdisziplin” ein einschlägiges und sehr lesenswertes Buch geschrieben.

Rekrutierungserfolg.de: Unternehmen wünschen sich, dass Mitarbeiter wie Bewerber möglichst zum Unternehmen passen und sich mit seiner Kultur identifizieren. Aber fragt man danach, was Unternehmenskultur ist oder auszeichnet, bekommt man oft eine ausweichende bzw. schwammige Antwort. Haben Sie eine?

Prof. Klaus Eckrich: Dass sich Verantwortliche im Unternehmen mit dem Kulturkonzept schwer tun, ist gut nachvollziehbar,  denn die  Managementlehre wartet mit einer schwer überschaubaren Fülle unterschiedlicher Vorstellungen von Kultur auf. Dem Praktiker geht es oft so wie dem Manager, der sein Problem auf den Punkt bringt: „Beim Gedanken an die Unternehmenskultur fühle ich mich wie mit dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Egal, wie sehr ich mich auch anstrenge, ich bekomme diesen nicht fixiert.“

In den letzten Jahren kristallisiert sich jedoch in der Fachwelt ein Begriffsverständnis heraus, auf dessen Basis ich Ihre Frage klar mit „Ja“ beantworten kann: Unternehmenskultur bezeichnet danach die Gesamtheit der Verhaltensweisen, sowie die das Verhalten steuernden Einstellungen und Werte der im Unternehmen tätigen Menschen. Ich finde, dieses Konzept ist klar und einfach.

Ihre Frage enthält einen impliziten Teil zwei, nämlich was die Kultur „auszeichnet“. Dabei geht es nicht um das Konzept von Kultur als solches, sondern um die Füllung des Konzepts mit unternehmensspezifischen Inhalten. Beispiel: Auf der Verhaltensebene wird kreatives Handeln erwartet. Oder der Wert „Disziplin“ wird im Unternehmen hoch geschätzt.

Mit diesem Kulturverständnis ist das Unternehmen in der Lage, Bewerbern seine kulturellen Vorstellungen konkret zu kommunizieren: Welches Verhalten erwarten wir von Dir? Welche Einstellungen solltest Du mitbringen und welche Werte sollst Du teilen und leben, wenn Du im Unternehmen erfolgreich wirken willst?

Rekrutierungserfolg.de: Wer eine Passung von Mensch zu Kultur prüfen will, muss die eigene Unternehmenskultur beschreiben können. Viele Unternehmen tun sich aber gerade damit schwer. Sie regen dazu eine Kulturanalyse an. Welche Möglichkeiten gibt es dazu und welche empfehlen Sie für eine erste Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur?

Prof. Klaus Eckrich: Es liegt nahe, zunächst an die Mitarbeiterbefragung zu denken. Dieses Verfahren liefert belastbare Ergebnisse, bringt Licht in die „Zone der Ahnungen und Vermutungen“ und ist nicht zuletzt wegen dem Anschein, die Unternehmenskultur messbar zu machen, vor allem in größeren Unternehmen recht beliebt.

Allerdings haben Mitarbeiterbefragungen auch ihre Haken: Der Umgang mit den Ergebnissen und die Einleitung von Veränderung verlangt einen Grad an Professionalität, den viele Führungskräfte missen lassen. Der Druck, unter den sie geraten, macht vielen Vorgesetzten zu schaffen und lässt sie nicht selten auch schlecht aussehen. Bei zu unbedarftem Umgang mit dem Instrument Befragung laufen ganze Führungsteams Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen.

Es gibt niedrig-schwelligere Methoden, sich ein Bild von der Kultur zu machen. Mit Hilfe einer Werte-Diskrepanz-Analyse lässt sich beispielsweise verdeutlichen, wo die postulierten, im Leitbild definierten Werte und die tatsächlich gelebten Werte zu stark auseinander driften. Die Viren-Vitamin-Analyse macht es schon vom Namen her deutlich, worum es geht: In Analogie zur Medizin geht es um die Identifikation von Viren, welche die Leistungsfähigkeit der Unternehmenskultur beeinträchtigen und von Vitaminen, die für leistungssteigernde Wirkungen im Unternehmen sorgen. Schließlich kann auch das Story-Telling genutzt werden, um die spezifischen Merkmale der Kultur im Unternehmen besser begreifbar zu machen.

Führungsteams, die sich erstmals mit der Kulturgestaltung befassen, können also zunächst mit leichterem Gepäck loslaufen, um sich danach mit geschärftem Blick der Profivariante „Mitarbeiterbefragung“ zu bedienen.

Rekrutierungserfolg.de: Sie sprachen gerade auch Unternehmensleitbilder an. In solchen werden ja gerne auch Unternehmenswerte bzw. die Wunsch-Unternehmenskultur manifestiert. Die Erfahrung zeigt aber, dass viele dieser Soll-Vorstellungen in Schubladen liegen, ggf. auch auf Internetseiten platziert werden oder den Flur zieren, aber im Arbeitsalltag wenig Aufmerksamkeit finden. Warum ist das so oder anders gefragt: Was hat den Ruf des Leitbildes so ramponiert?

Prof. Klaus Eckrich: Das Leitbild genießt in der Tat den Ruf des Management-Werkzeugs mit Macken: Das Konzept erscheint in der Theorie eher als diffus. Und die praktische Handhabung durch Manager reicht manchmal bis ins Groteske.

Die Konzeption des Leitbilds geht dahin, eher allgemeine, nicht weiter konkretisierte Aussagen zu machen und damit einen nicht näher bestimmten Grad an Interpretationspielraum zu lassen. Juristen sprechen bei einem vergleichbaren juristischen Phänomen von „Gummiparagraphen“. Die Idee des Leitbilds wird zudem mit zahlreichen Synonymen verknüpft oder gar mit anderen Managementkonzepten wie der Vision oder der Strategie in einen Topf gerührt. Das Leitbild hat es also schon von der Grundkonzeption her deutlich schwerer als andere Managementwerkzeuge.

Die Gründe für den schlechten Ruf sind vor allem aber in der Anwendung im Unternehmen zu suchen: Manager schludern sowohl bei der Formulierung des Leitbilds als auch bei dessen Umsetzung im Führungsalltag. Viele lassen dabei jene Führungsschwächen zum Vorschein kommen, die sie auch im Umgang mit anderen Führungswerkzeugen zeigen. Manche nutzen die immanenten Schwächen des Leitbildkonzepts fahrlässig oder absichtlich aus. Sie zünden mit Eloquenz und intellektueller Pferdstärke Nebelkerzen und beeindrucken ihre Umwelt, insbesondere den Aufsichtsrat und die Öffentlichkeit, weniger jedoch die Mitarbeiter. Die Folge: das Leitbild verliert seine ohnehin eingeschränkte Strahlkraft. Der Fehler wird dann dem Management-Werkzeug angelastet, anstatt den Ursachen dort nachzugehen, wo sie wirklich liegen: Bei den Anwendern. Im Angelsächsischen gibt es dafür die Redewendung „a fool with a tool is still a fool“, auf Deutsch: Das Leitbild kann nicht für alles herhalten, wenn Manager in dessen Anwendung straucheln.

Rekrutierungserfolg.de: Unternehmenskultur ist also nicht etwas, was man in einem Leitbild festlegen kann; sie muss gelebt und erlebt werden. Haben Sie Beispiele, wie HR/der Personalbereich und die Führungskräfte Unternehmenskultur im Tagesgeschäft umsetzen können?

Prof. Klaus Eckrich: Zunächst sehe ich die Führungskräfte in der Pflicht. Die Einforderung der Vorbildrolle fehlt in keiner Powerpoint-Präsentation, wenn es um Wandel im Unternehmen geht, dessen Erfolg von Änderungen im Verhalten der Organisationsmitglieder abhängt. Das ist auch richtig so. Jeder Mitarbeiter ist kulturprägend, aber das Verhalten der Vorgesetzten spielt eine besondere Rolle – Warum? Weil sich Mitarbeiter unbewusst, manchmal auch bewusst daran orientieren, wie der Chef die Dinge angeht. Wenn man allerdings genauer in die Führungspraxis schaut, scheint sich die Aussage einer Schriftstellerin zu bestätigen: „Mit Vorbildern ist es wie mit Gespenstern: Rückt man ihnen zu Leibe und nennt sie beim Namen, so lösen sie sich in Rauch auf!“

Zum zweiten wird der Prozess der Kulturveränderung über das Lernen der Menschen in der Organisation gestützt. Hier ist vor einem im Management weit verbreiteten Irrtum zu warnen: Auch das Fördern des Lernens ist originäre Aufgabe des Vorgesetzten. HR unterstützt mit seinen Strategien und Werkzeugen die Personal- bzw. Führungskräfte-Entwicklung und sorgt mit Sachverstand und Expertise dafür, dass die Organisation des Lernens effektiv gestaltet wird. Die Verantwortung für die Ergebnisse und die Wirkung auf die Kultur liegt jedoch beim Linienmanager. Dessen Neigung ist nachvollziehbar, die Verantwortung an HR zu delegieren. Sie führt im Ergebnis jedoch dazu, dass Lernen und Arbeitspraxis zu wenig verzahnt sind und dass sich die gewünschten Effekte auf die Kultur verflüchtigen.

Schließlich tragen auch die Strukturen im Unternehmen zur Kulturprägung bei. Eine Erkenntnis der Managementlehre legt nahe: Strukturen bestimmen das Verhalten. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht die Wirkung: Regelmäßige, zuverlässig durchgeführte Meetings führen dazu, dass Mitarbeiter die Chance haben, sich intensiver austauschen. Aber: Auch bei den Strukturen kommt es auf die Qualität der Nutzung an: Gute Meetings fördern, unprofessionelle Meetingstrukturen hemmen die Kommunikationskultur.

Rekrutierungserfolg.de: Für das Recruiting wurden in letzter Zeit Testverfahren entwickelt – sogenannte Cultural Fit-Tests/Matcher, die die Passung von Bewerbern zur Unternehmenskultur prüfen sollen. Welche Chancen und Risiken sehen Sie im Einsatz solcher Tests?

Prof. Klaus Eckrich: Die angesprochenen Tests können eine gute Ergänzung sein, sofern sie die Selbstreflektion des Bewerbers und der rekrutierenden Unternehmensvertreter unterstützen. Möglichkeiten, die sich aus einer guten „Passung“ ergeben, aber auch Reibungspunkte oder mögliche Unverträglichkeiten werden früher erkannt. Auf Seiten des Unternehmens können Kosten und Zeitverluste verringert werden. Dem Bewerber kann ein „Kulturschock“ oder gar eine Entscheidung, die seiner Karriere abträglich ist, erspart bleiben.

Man muss allerdings auch das Schadenspotential ganz klar sehen: Dieses fängt an bei kultur-diagnostischen Verfahren, die in den falschen Händen landen. Es setzt sich über ein Over-Engineering bei der Frageentwicklung und der Einschätzung der Wirkungszusammenhänge fort und geht bis hin zur Segregation des Tests von der Unternehmensrealität. Mit anderen Worten: Wenn die Selbstreflektion der Vertreter der aufnehmenden Kultur blockiert ist, verkehren sich Tests in ihr Gegenteil: Sie liefern merkwürdige Ergebnisse, laufen nach Schema F und wirken befremdlich auf den Bewerber.

Ich halte den konstruktiv und auf Augenhöhe geführten Dialog zwischen Bewerber und zukünftigen Vorgesetzten/ Kollegen für vorrangig und zielführend.

Rekrutierungserfolg.de: Neue Mitarbeiter zu integrieren bedeutet ja auch, Sie mit der Unternehmenskultur vertraut zu machen und sie in deren Weiterentwicklung einzubinden. Wie kann das gerade im Rahmen der Einarbeitung aus Ihrer Sicht gut gelingen?

Prof. Klaus Eckrich: Entscheidend ist, wie der neue Mitarbeiter die Unternehmenskultur erlebt. Erlebt er die Kultur so, wie es das Unternehmen kommuniziert oder gibt es fühlbare Sollbruchstellen zwischen öffentlich proklamierter Kultur und dem tatsächlichen Verhalten von Kollegen und Vorgesetzten?

Unternehmen führen mittlerweile auch ein professionelles Onboarding durch. Die Schwerpunkte liegen dabei meist auf der Vorstellung der Personen und Bereiche sowie auf dem Fachlichen. Selten, aber doch zunehmend häufiger zu sehen ist, dass auf die Kultur explizit hingewiesen wird und beispielsweise der Umgang mit dem Leitbild (sofern vorhanden) aktiv thematisiert wird.

Recht schnell geschieht die Heranführung an die Unternehmenskultur, wenn denkbare oder vom neuen Organisationsmitglied selbst erlebte Widersprüche zwischen gelebten Verhalten und postulierten Werten vom Vorgesetzten oder im Kollegenkreis offen thematisiert werden. Ein Beispiel wäre, dass die Organisation den Teamgeist in ihren Verlautbarungen hochhält, während es doch auch Ecken im Unternehmen gibt, wo Vorgesetzte mit direktivem Gehabe in die Arbeit ihres Teams grätschen oder Mitarbeiter ihren Kollegen wichtige Informationen vorenthalten.

Die perfekte Welt gibt es nicht, aber das Reflektieren und Reden über Bruchstellen signalisiert dem neuen Mitarbeiter, dass man es mit der Unternehmenskultur ernst meint. Dies hilft ihm, sich in der neuen Kultur zu positionieren, anstatt sich davon zu distanzieren.

Rekrutierungserfolg.de: Herr Prof. Eckrich – vielen Dank für das interessante Gespräch über Unternehmenskultur. 

Nicht nur in Unternehmen sondern auch im Sport ist Erfolg immer auch “eine Frage der Kultur”, wie Christian Löer mit Blick auf den 1. FC Köln Anfang der Woche im Kölner Stadtanzeiger titelt. Die von ihm genannte “Kultur des komfortablen Stillstands” ist mit Sicherheit nicht nur beim FC in eine erfolgversprechendere Kultur zu wandeln.

Literaturhinweise:

Ruth Böck
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