Wir Recruiter müssen mehr New Work leben

Recruiter und New WorkNew Work – unter diesem Schlagwort finden nahezu in allen Unternehmen Veränderungen statt. Mal geht es um Digitalisierung, mal um agiles Arbeiten, nachhaltigeres Handeln, neue Formen der Arbeitsorganisation und mal um mehr projekt- und kundenorientiertes selbstgesteuertes Arbeiten. Initiativen für Veränderungen schießen aus dem Boden, Transformationsprojekte werden auf- und umgesetzt, Abteilungen, Strukturen und Jobs in Frage gestellt. All das geht nicht spurlos am Recruiting vorbei. Die Ansprüche an das Recruiting verändern sich und mancher Recruitingbereich wird in Frage gestellt.

Und deshalb müssen wir Recruiter reagieren und stärker proaktiv agieren – wir müssen uns auf diese Gegebenheiten einstellen, sie mitgestalten, unser Rollenspektrum ausbauen, kurzum New Worker werden. Wie? Hier mal sechs Gedankenanstöße und Empfehlungen für Sie.

1 | New Work & Digitalisierung – Recruiter als Tech- und Prozessmanager

Nicht nur Bewerbermanagement-Systeme, auch Online Assessments, Video-Interview-Suits, Sprachanalyse-Tools, Multiposting-Optionen, Mitarbeiter-Empfehlungs-Systeme etc. kommen in schneller Taktung und Vielfalt auf den Markt. Sie sollen dazu beitragen, Standardprozesse im Recruiting einfacher zu machen, zu beschleunigen und wo möglich auch weiter zu objektivieren. Die Auswahl dieser Tools und ihre Implementierung ist aufwändig und teuer, manche Systeme halten nicht, was sie versprechen, andere sind in Bezug auf ihre (diagnostische) Qualität fragwürdig. Außerdem ändern sich mit der Einführung solcher Tools auch vorhandene Prozesse. Und packt man erst mal einen Prozess an, dann hat das Auswirkungen auf weitere Prozesse. …

Die Einführung von digitalen Lösungen wird deshalb gerne auf die lange Bank geschoben oder an den Einkauf bzw. die IT delegiert. Sicher kann und sollte sich das Recruiting kompetente Unterstützung einholen. Aber die Festlegung der Anforderungen an Systeme, die Anpassung der dadurch sich verändernden Prozesse und auch das Lernen des Umgangs damit kann einem ebenso wenig jemand abnehmen wie die Einbindung der Hiring Manager und Mitbestimmungsgremien.

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Empfehlung: Sie sollten Ihr Fachwissen im Hinblick auf Digitalisierung und damit verbundene technische und rechtliche Themen unbedingt ausbauen. Es ist wichtig, sich mit Begrifflichkeiten und Features typischer technischer Lösungen vertraut zu machen und zusätzlich zu wissen, welche mitbestimmungs- und datenschutzrechtlichen Regelungen bei Einführung und Nutzung solcher Tools berücksichtigt werden müssen. Wer seitens des Recruitings für ein solch strategisches Projekt den Hut aufhat, muss viel Schnittstellenmanagement, Kommunikations- und Rückkopplungsarbeit leisten und wird sich auf viele Widerstände einstellen müssen. Zum Management dieser Aufgabe ist es ebenfalls hilfreich, mit digitalen (Collaboration-) Tools zu arbeiten, um die Übersicht zu behalten und interaktiv arbeiten zu können. Daher sollten Sie auch den Einsatz solcher Tools proaktiv üben.

2 | New Work & Agilität – Recruiter als agiler Projektmanager

Bereits heute, aber erst recht in Zukunft ist jede Stellenbesetzung als operatives Recruitingprojekt zu verstehen und entsprechend zu steuern. Statt – wie immer noch oft zu beobachten – einen Standard-Recruiting-Prozess abzuarbeiten, Erfüllungsgehilfe der Hiring Manager zu sein und letztlich als Profil-Lieferanten zu fungieren und dann die Entscheidung der Hiring Manager abzuwarten, müssen Recruiter echte Prozessmanager werden, die Hiring Manager mitnehmen und ihnen Mehrwert liefern.

Empfehlung: Werden Sie interaktiver, transparenter, nehmen Sie den Prozess in die Hand, zeigen Sie Augenhöhe mit ihrer Expertise und beraten Sie aktiv. Teilen Sie Recruitingprojekte in Sprints (kleine Teilprozesse) auf, ziehen Sie nach jedem Sprint z. B. wöchentlich eine Rückkopplungsschleife zum Status quo mit dem Hiring Manager und passen Sie ggf. das Vorgehen für den nächsten Sprint an. Hiring Manager erleben so ein stärkeres Miteinander/ Kümmern und mehr Prozessfortschritt. Dadurch fühlen Sie sich selbst mehr in der Pflicht und agieren ebenfalls schneller, was insgesamt die Stellenbesetzung beschleunigt, die Candidate Experience verbessert und auf das Erreichen des Projektziels einzahlt.

3 | New Work & Candidate Centricity – Recruiter als Candidate Relationship Manager

Wer die Touchpoints zum Kandidaten kennt und laufend optimiert, sorgt für eine zunehmend positive Candidate Experience. Schnelligkeit, Transparenz und persönliche Wertschätzung sind touchpoint- und bewerbergruppenübergreifend wichtige Erfolgsfaktoren. Als Recruiting ist man jedoch nur ein Akteur. Viele andere Beteiligte beeinflussen die Candidate Experience mit. Das kann z. B. das Personalmarketing sein, das auf bestimmte Texte oder Layouts in Stellenanzeigen besteht; das können HR Business Partner sein, an denen kein Bewerber vorbei an den Hiring Manager geleitet werden darf, oder die Personalentwicklung, die auf Durchführung bestimmter Testverfahren besteht. Und letztlich sind die größte Hürde oft die Hiring Manager selbst und ihr wenig ausgeprägtes Verständnis davon, wer sich gerade bei wem bewirbt.

Empfehlung: Planen Sie bewusst Zeit für Beziehungspflege zu Ihren Kandidaten im Tagesgeschäft ein. Halten Sie sie auf dem Laufenden und geben Sie Feedback. Sorgen Sie für persönliche Momente, z.B. mit einem Geburtstags-/Weihnachts-/Ostergruß oder einem Daumendrücken bei bevorstehenden bekannten Ereignissen (Prüfung, Umzug, Familienzuwachs). Geben Sie diesen Kontakten öfter eine noch persönlichere Note und rufen Sie an statt nur zu schreiben.

Bauen Sie Ihr Wissen um Bewerber-Erwartungen aus, holen Sie ggf. sogar selbst Bewerberfeedback ein (siehe unten) oder werten Sie regelmäßig Bewertungen von Bewerbern auf Arbeitgeberbewertungsportalen aus. Und nutzen Sie diese Zahlen, Daten und Fakten für interne Sensibilisierungsarbeit. Laden Sie z. B. mal zu einem ein Inhouse-Workshop ein, stellen Sie die aktuellen Ergebnisse einschlägiger Studien oder eigener Bewerberbefragungen vor und erarbeiten Sie gemeinsam mit allen am Auswahlprozess Beteiligten an Optimierungsmöglichkeiten.

4 | New Work & Talentismus – Recruiter als Recruiting Business Partner

In Zeiten, in denen sich bekannte Jobmuster auflösen und Formalqualifikationen im Vergleich zu persönlichen und sozialen Anforderungen an Bedeutung verlieren, wird die Bewertung eines Kandidaten immer schwieriger. Bisher eingesetzte Methoden greifen nicht mehr – Schubladendenken, Küchenpsychologie und subjektives Bauchgefühl nehmen dann schnell Überhand. Hier können Recruiter mit ihrem Expertenwissen gegensteuern und für nachhaltig beständige Personalentscheidungen sorgen. Wenn bewährte Methoden mit nachweislich hoher Prognosekraft nicht mehr greifen, heißt das ja nicht, dass sie untauglich geworden sind. Es heißt aber, dass sie inhaltlich angepasst, sprich auf den jeweiligen Job maßgeschneidert werden müssen.

Empfehlung: Spielen Sie Ihr diagnostisches Expertenwissen z. B. zur Entwicklung von Candidate Personas und der daraus folgenden Ableitung und Operationalisierung von Anforderungen aus. Liefern Sie Mehrwert, indem Sie treffende Interviewfragen formulieren und Auswahlverfahren konzipieren, die zu dem Job, dem Hiring Manager und dem Team passen. Wenn z. B. Arbeitsproben angedacht sind und eine Teamentscheidung gefällt werden soll, spricht da nichts dagegen, auch wenn dies bislang nicht üblich war. Aber dann sollte das Team bei der Entwicklung von Aufgaben zur Arbeitsprobe oder zur Formulierung von Fachfragen beraten und unterstützt und in der Beobachtung und Bewertung von Verhalten gebrieft werden.

5 | New Work & nachhaltige Wertschöpfung – Recruiter als Recruiting Business Analysten

Auch wenn das Recruiting oft zahlenscheu ist und viele gute Gründe gegen Kennzahlen und Analytics anführen kann. Nur wenn es laufend den Markt beobachtet, sich mit Studienergebnissen  beschäftigt und die eigenen Prozesse damit benchmarkt, kann es einen Mehrwert für das Unternehmen leisten. Es kann die Wünsche und Anforderungen seiner Kunden stetig evaluieren und das eigene Handeln anpassen. Auch Trends und Neuerungen – insbesondere im Hinblick auf Digitalisierungsmöglichkeiten – können im Auge behalten und kritisch bewertet werden. Nur so kann es unternehmerisch sinnvolle Entscheidungen treffen.

Empfehlung: Blicken Sie über Ihren Tellerrand und vernetzen Sie sich. Besuche von (Online) Messen und (Web-)Konferenzen, Webinaren, Networking-Veranstaltungen, Zusammenarbeit mit externen Beratern, das Lesen von einschlägigen Blogbeiträgen, das Surfen auf relevanten Portalen dienen der Marktbeobachtung. Erstellen Sie sich als Recruiting außerdem ein Set an wichtigen, insbesondere kundenrelevanten KPIs zusammen, pflegen und werten sie die Kennzahlen regelmäßig aus. Neben quantitativen Größen wie z.B. Prozessdauern, sind insbesondere qualitative Informationen wichtig. Und dazu tragen regelmäßige Befragungen von Kandidaten, New Hires und Hiring Managern bei.

6 | New Work & Gig Economy – Recruiter als Co-Worker

Wenn Standards durch Digitalisierung ersetzt werden, Recruiting mehr projektbezogen stattfindet und zeit- sowie ortsunabhängiger gearbeitet werden kann; muss sich auch das Recruiting Gedanken über neue Formen der Zusammenarbeit machen. Statt mit einem festen Team ähnlich qualifizierter und erfahrener Kollegen zu arbeiten, setzt man zukünftig ggf. stärker auf Recruiting-Kollegen mit speziellen Expertisen und Erfahrungen, “kauft” diese sogar projektbezogen dazu oder bietet seine eigene Expertise extern an.

Empfehlung: Lernen Sie selbst loszulassen und klassische Arbeitsweisen und Teamstrukturen abzulösen. Das kann schrittweise geschehen, z. .B. durch Ausnutzen von Homeoffice-Möglichkeiten und das Üben virtueller Zusammenarbeit. Oder durch die bewusste zeit- und projektweise Zusammenarbeit mit freiberuflichen Recruitern/ Personalern/ Beratern oder Kollegen an anderen Standorten, z. B. bei hohem Arbeitsaufkommen, Ausfallzeiten im Team etc.

Recruiting Transformation – auch für mehr Wertschätzung und Attraktivität des Recruiter-Jobs

Natürlich passiert das alles nicht per Knopfdruck, aber es ist unausweichlich, will Recruiting künftig noch eine Daseinsberechtigung haben. Auch ist offensichtlich, dass man sich nicht einzelne Veränderungen herauspicken kann, da alles mit allem irgendwie zusammenhängt.

Recruiter New Worker

Vielleicht wird ein solcher Transformationsprozess aber auch dazu beitragen, dass das Recruiting in manch einem Unternehmen wirklich den Stellenwert bekommt, den es eigentlich haben müsste. Und das würde auch auf die Attraktivität von Recruiting als Job einzahlen. Manch ein Berufseinsteiger und Young Professionals würden dann vielleicht Recruiting nicht nur als Startposition sehen und Aussagen wie “Ich bleib’ doch nicht ewig im Recruiting” überdenken. Denn der Wunsch, das Recruiting nach überschaubar kurzer Zeit wieder zu verlassen und z. B. als HR Business Partner oder Personal- und Organisationsentwickler zu arbeiten, kommt ja nicht von ungefähr. Mehr Ansehen, anspruchsvollere und weitere gefächerte Aufgaben, tatsächliche Betreuung und Beratung von Führungskräften, persönliche Weiterentwicklung – all das wird damit verbunden. Und letztendlich auch eine bessere Bezahlung, weil man einen größeren Mehrwert liefert. Aber den bietet der Recruiter als New Worker eben auch.

* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.

Ruth Böck
Ruth Böck
Hallo, ich bin einer der Köpfe von upo - Bausteine für Rekrutierungserfolg. Als #RecruitingStarkMacher unterstützen wir Recruiter, mit einem echt starken Recruiting einen erlebbaren Unterschied zu machen. Und so mehr Rekrutierungserfolg zu erzielen. Außerdem bin ich Initiatorin und Mitmacherin dieses Fachportals Rekrutierungserfolg.de. Wenn dir meine Beiträge gefallen, dann trage dich hier gerne für unser upo Magazin mit Tipps & Hinweisen für #RecruitingStarkMacher ein.