Bald sind alle Studenten "gut"

Quelle: Bewerberin im Assessment Center © Robert Kneschke - Fotolia.com
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So titelte der Kölner Stadtanzeiger (KstA 14.11.2012, S. 23) seinen Beitrag über den neuen Prüfungsnotenbericht des Wissenschaftsrates, der am 12.11.2012 vorgestellt wurde. Wichtigste Erkenntnis: das Notenspektrum wird nicht mehr ausgeschöpft,  es findet eine “schleichende Noteninflation” statt. Etwa 80% der Absolventen schließen mit einem gut oder sehr gut als Gesamtnote ab. Dieser Wert hat sich in den letzten 10 Jahren um ca. 10 Prozentpunkte erhöht. Allerdings spielt für die Abschlussnote eine nicht unerhebliche Rolle, welches  Studienfach, auf welchen Abschluss hin und wo man studiert hat.

Unterschiede nach Studiengängen

Im Vergleich einzelner Studiengänge zeigt sich, dass sowohl innerhalb von Fächergruppen als auch zwischen Fächergruppen ganz erhebliche Unterschiede bestehen.

  • In den Sprach- und Kulturwissenschaften schneiden 87% der Studierenden mit gut oder sehr gut ab. Innerhalb der Fächergruppe kommen die Dipl.-Psychologen am besten weg: nur 3% haben eine Note schlechter als gut.
  • In der Fächergruppe der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften haben etwas über 70% einen Abschluss mit mindestens gut erzielt. Hier gibt es aber gewaltige Unterschiede je nach Studienfach: Spitzenreiter sind die Wirtschaftsingenieure mit 90% guten und sehr guten Abschlussnoten; dem stehen die Juristen (1. Staatsexamen) mit 7%  gegenüber. Der Klassiker BWL liegt bei 69%.
  • In der Fächergruppe Mathematik/Naturwissenschaften liegt das Feld wieder näher beisammen: 87% schlossen mit gut oder sehr gut ab; hierbei schneiden die Biologen und Physiker mit über 95% am besten ab, während die Informatiker und Geografen “nur” 90% eine Note gut oder besser erzielten.
  • Die Fächergruppe der Ingenieurwissenschaften liegt bei 80% gute bis sehr gute Noten. Hier erzielen über 90% der Architektur- und Maschinenbau-Studenten, aber “nur” 63% der Bauingenieur-Absolventen diese Noten.

Unterschiede nach Abschlüssen

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Die Chance auf einen guten oder sehr guten Abschluss ist bei einem Master-Abschluss (FH wie Uni) am größten. Sie liegt bei knapp über 90%. Es folgen Magister (88%) und Uni-Diplom-Abschlüsse (86%). Im Vergleich geringere Chancen auf einen guten oder sehr guten Notdendurchschnitt haben Absolventen mit Staatsexamen (ohne Lehramt); ihre Chance liegt nur bei etwas über 40%.

Nicht nur die Notendurchschnitte auch die Spannweite der Noten variieren von Studiengang zu Studiengang sowie zwischen den Abschlüssen erheblich: im Diplomstudiengang Biologie liegt die Bandbreite zwischen 1,3 und 1,8; bei den Wirtschaftswissenschaften (Diplom) hingegen zwischen 1,3 und 2,6.

Unterschiede nach Studienorten innerhalb Deutschlands

Schaut man sich das Notenspektrum innerhalb eines Faches an, so schwankt die durchschnittliche Abschlussnote je nach Studienort bundesweit um bis zu einer Note.

Nimmt man z.B. den Bachelorabschluss in BWL und vergleicht die Noten an Universitäten, an denen der Abschluss erzielt werden kann, dann liegt die Durchschnittsnote bei 2,3. Sie schwankt zwischen 1,7 an der Frankfurt School of Finance & Management und 2,8 an der TU Clausthal.

Auch für andere Studiengänge lassen sich unabhängig von der Abschlussart solche Schwankungsbreiten feststellen.

Blick über die Grenzen

Wenn es schon innerhalb des deutschen Hochschulraums solche gravierenden Unterschiede gibt, dann ist dies erst recht bei Berücksichtigung von internationalen Studienabschlüssen zu erwarten. Hier tun sich sehr viele Unternehmen noch sehr schwer, die erzielten Abschlusse und Noten einzuschätzen. (Einen Überblick über ausländische Studienabschlüsse vermittelt die anabin-Datenbank https://anabin.kmk.org/no_cache/filter/hochschulabschluesse.html)

Schaut man sich die Notenskalen verschiedener Länder an, findet man sehr heterogene und unterschiedlich breit ausdifferenzierte Modelle. “Übersetzungen” auf das deutsche Notensystem müssen zwangsläufig mit Verzerrungen verbunden sein. (Beispiel einer Umrechnung ausländischer Zeugnisnoten aus verschiedenen europäischen und außereuropäischen Länder: https://www.uni-hannover.de/imperia/md/content/zentral/anerkennung/notenumrechnung.pdf)

Was tun?

Um dem oben beschriebenen Trend der Nivellierung auf gute und sehr gute Abschlussnoten entgegen zu wirken, werden in Deutschland gemeinsame Notenstandards – in Anlehnung an die Bildungsstandards für verschiedene Schulfächer – diskutiert. Einheitliche Abschlussprüfungen werden jedoch nicht als Mittel der Wahl angesehen. Die Entwicklung solcher Notenstandards lässt sich jedoch nicht von heute auf morgen realisieren. Daher müssen Unternehmen mit der schleichenden Inflation von Examensnoten leben und eigene Maßnahmen ergreifen, um “Spreu vom Weizen” besser trennen zu können:

  • Sie müssen Noten differenzierter betrachten und ihre Anforderungen anpassen. So ist z.B. die generelle Anforderung nach einem Prädikatsexamen mit mindestens einem 2,5-er Schnitt nicht sinnvoll. Vielmehr muss bei der Bewertung von Examensnoten stärker die fach, hochschul- und länderbezogene Bewertungspraxis berücksichtigt werden. Der oben genannte Prüfungsnotenbericht gibt dazu für deutsche Abschlüsse ganz gute Anhaltspunkte.
  • Unternehmen müssen verstärkt auf eigene Bewertungsstandards setzen.  Auf Basis eigener Kompetenzmodelle und mittels standardisierter Test- und Auswahlverfahren sowie professioneller Interviewtechniken kann man die Qualität der Absolventen gut prüfen und vergleichen. Die erfordert jedoch Entwicklungs- und Durchführungsaufwand. Insbesondere im Mittelstand scheut man oft noch den Aufwand oder befürchtet, dringend benötigte Absolventen damit zu verschrecken.

Langfristig müssen wir uns aber vielleicht auch vom altbekannten (Schul-) Notensystem verabschieden und neue Bewertungsraster akzeptieren. Mit dem ECTS-Punktesystem (European Credit Transfer System) sind Ansätze für ein Umdenken geschaffen worden.  Statt statischer Noten arbeitet man hier mit relationalen Noten. Grundlage ist die Reihung der Absolventen nach erzielten Punkten. Diese werden dann in verschiedene Gruppen unterteilt: Die besten 10% erhalten die Bewertung A, die nächsten 25% die Bewertung B usw. Problematisch an dieser Bewertungsmethode ist, dass die Einstufung des Einzelnen erheblich von der Größe und Struktur der Gesamtgruppe abhängig ist. So können Absolventen mit objektiv zwar guten Bewertungen relational schlechter bewertet werden, wenn recht viele gute Absolventen vorhanden sind oder umgekehrt. Selbst eine objektiv schwächere Leistung kann bei geringer Konkurrenz zu einer hohen Einstufung führen.

Wie erleben Sie die Notenentwicklung und die Vergleichbarkeit von nationalen und internationalen Hochschulabschlüssen und welche Lösungen haben Sie in Ihrem Unternehmen gefunden?

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* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.

Ruth Böck
Ruth Böck
Hallo, ich bin einer der Köpfe von upo - Bausteine für Rekrutierungserfolg. Als #RecruitingStarkMacher unterstützen wir Recruiter, mit einem echt starken Recruiting einen erlebbaren Unterschied zu machen. Und so mehr Rekrutierungserfolg zu erzielen. Außerdem bin ich Initiatorin und Mitmacherin dieses Fachportals Rekrutierungserfolg.de. Wenn dir meine Beiträge gefallen, dann trage dich hier gerne für unser upo Magazin mit Tipps & Hinweisen für #RecruitingStarkMacher ein.