“Vielen Dank für die tolle Begleitung bei meiner ersten Stellenbesetzung – ich habe sehr viel für weitere Stellenbesetzungen gelernt” – so das Feedback einer Führungsnachwuchskraft nach gemeinsamer Besetzung einer echt schwer zu besetzenden Spezialistenfunktion. Viele neue Führungskräfte springen ins kalte Wasser, wenn sie ihre erste Vakanz im Team haben. Und die meisten Arbeitgeber unterstützen ihre Führungskräfte auch nicht besonders dabei, die Rolle des Hiring Managers von Anfang an professionell auszufüllen. Wie sagte eine Führungsnachwuchskraft zuletzt in einem Gespräch: “Wahrscheinlich geht man davon aus, dass man das einfach kann.” Dass das weit gefehlt ist und viele der “Newbees” im Recruitingprozess ins Schwimmen geraten, erleben erfahrene Recruiter und HR’ler oft im Zusammenspiel mit dem Führungsnachwuchs. Hier die acht häufigsten Fallstricke, denen die noch im Recruiting unerfahrenen Führungskräfte begegnen.
Führungsnachwuchskräfte und Stellenanzeigen
Fallstrick 1
Neue Vakanz, alte Anzeige (des Vorgängers), gleiche Recruiting-Kanäle wie immer – ein so gängiges Muster. Und schon schnappt die erste Falle zu. Zugegeben, die unreflektierte Übernahme bereits vorhandener Anzeigen wirkt total einfach und zeitsparend, aber in den meisten Fällen eben nur auf den ersten Blick.
Denn in aller Regel haben sich Aufgaben inhaltlich oder im Fokus verändert, sind weggefallen oder hinzugekommen. Vielleicht ließen sie sich aus heutiger Sicht auch besser, griffiger/anschaulicher oder persönlicher adressiert formulieren? Das gleiche gilt für die gestellten Anforderungen. Wird überhaupt die richtige Zielgruppe bzw. Candidate Persona adressiert? Und sind dann die Formalanforderungen, der Umfang der Berufserfahrung, die IT-Sprachkenntnisse so noch gültig? Und wie steht es um die sozialen und persönlichen Anforderungen? Sind das die aktuell und künftig wichtigen, lassen sie sich plausibel aus den Aufgaben ableiten?
Eine schlecht formulierte Stellenanzeige ist mehr als ein schlechtes Aushängeschild; sie lockt auch die falschen Kandidaten an. Daher sollten sich Neulinge im Recruiting mit den Dos und Don’ts zur Formulierung und Gestaltung von Stellenanzeigen beschäftigen und aussagekräftige, verständliche und gut lesbare Anzeigen entwickeln lernen.
Unterlagensichtung durch Führungsnachwuchskräfte
Fallstrick 2
Der zweite Fallstrick schlägt beim Sichten von Bewerbungsunterlagen zu. Nicht nur, dass viele gerne mal alle Bewerbungen sehen wollen. Ob nun aus Angst irgendetwas zu verpassen oder jemanden vorschnell auszuschließen, weil man selbst nicht so genau weiß, wer in Frage kommt. Oder aus Misstrauen, ob der Recruiter auch wirklich weiß, wer da gesucht wird.
Die Sichtung selbst läuft meist sehr oberflächlich und subjektiv ab. Und dabei schlagen persönliche Vorurteile und Wertemuster schnell zu. Das Risiko von Verzerrungen und Blendungen und damit der Fehlauswahl ist groß, wenn kein strukturiertes, anforderungsorientiertes Screening stattfindet. Dann fallen an sich gut passende Bewerbungen schnell mal durchs Raster und auf der anderen Seite kommen Bewerbende weiter, bei denen entscheidende Anforderungen nicht erfüllt sind.
Daher ist es gerade für Starter im Recruiting wichtig, für Bewertungsverzerrungen und Schubladendenken sensibilisiert zu sein und Methoden zu kennen, schnell und strukturiert Bewerbungen zu sichten und zu bewerten.
Führungsnachwuchskräfte in Interviews
Fallstrick 3
Wie man ein Jobinterview führt kennt man ja aus eigener Erfahrung auf der anderen Seite. Oder man schaut halt mal bei Vorgesetzten oder Kollegen zu. Und ein paar innovative Fragen findet man ja auch schnell im Netz.
Ja, und so sehen dann auch die Interviews aus. Bewerbende erleben häufig Monologe, verhörartige Fragen zu Jobs, Entscheidungen und Lebenssituationen, überzogene Unternehmensbeschreibungen usw. Und diese Fragen werden im Zweifel sogar mehrfach gestellt, wenn mehrere Interviews mit verschiedenen Personen hintereinander geführt werden.
Schlechte Vorbereitung auf und unstrukturierte Durchführung von Interviews wirkt sich nicht nur negativ auf die Candidate Experience aus. Sie schmälern auch die Aussagekraft des Interviews. Manch Interviewpartner stellt nach dem Gespräch fest, dass er eigentlich gar nicht soviel Substanzielles vom Bewerbenden erfahren hat. Und so werden dann gerne weitgehende Interpretationen von Einzelaussagen vorgenommen. Typische Beobachtungs- und Bewertungsfehler erhalten einen breiten Raum.
Und so fällt am Ende des Tages die Auswahlentscheidung schwer oder wird rein nach Bauchgefühl oder Sympathie gefällt. Der Grund: man hat nicht die richtigen Fragen gestellt und die relevanten Anforderungen bei den gestellten Fragen nicht ausreichend im Blick gehabt.
Fallstrick 4
Schaut man auf die konkret gestellten Fragen, dann werden häufig klassische Standardfragen und z.T. auch – oft unwissentlich – unerlaubte Fragen in Interviews verwendet.
Mit solchen Standardfragen outet man sich nicht nur als Recruiting-Anfänger, man erfährt auch nicht wirklich etwas über die Kandidaten. Denn auch diese bereiten sich auf Gespräche und ebensolche Standardfragen vor. Das Netz ist voll von “guten” Antworten auf Fragen nach persönlichen Stärken und Schwächen oder warum man gerade die eigene Person einstellen sollte. Auch Fragen nach der Bewerbungsmotivation lassen sich gut vorbereiten und “verkäuferisch” richtig einbringen. Und selbst für die ach so innovativen Brainteaser a la “Wie schwer ist Manhatten?” gibt es Übersichten mit passenden Antworten. Wer also Standardfragen stellt, erhält auch meist Standardantworten ohne wirklichen Mehrwert.
Beim Stellen von unerlaubten Fragen, z.B. zu Partnerschaft und Familienplanung, begibt man sich auf dünnes Eis. Nicht nur, dass es in Bewerbungsratgebern dazu einige “gute” Antworten gibt, auch das Arbeitgeberimage kann belastet werden und rechtliche Konsequenzen sind ebenfalls möglich (Stichwort Diskriminierung).
Wer also als Führungskraft neu in Interviews startet, der sollte sich mit Fragetechniken jenseits von Standardfragen auskennen und für die rechtlichen Rahmenbedingungen sensibilisiert sein.
Fallstrick 5
Nicht jeder Typ von Bewerbenden liegt einem. Das geht mir genauso wie jeder Führungskraft. Und leider weiß man meist auch nicht vorher, auf welchen Typ man im Gespräch trifft. Trotzdem möchte man ja etwas über Kenntnisse, Fähigkeiten und relevante Persönlichkeitsmerkmale des Kandidaten herausfinden. Und dazu muss man mögliche Fragetechniken gezielt einsetzen und variieren können. Das ist aber oft genau der Punkt, an dem unerfahrene Interviewer aussteigen. Entweder sie ziehen ihr Programm durch, erfahren wenig und ärgern sich über die vertane Zeit. Oder werden unsicher und wissen nicht so recht, wie sie das Gespräch führen sollen. Die Folge sind oft Monologe ihrerseits.
Fehlende Techniken zum Umgang mit herausfordernden Bewerbertypen sind daher ein weiterer Fallstrick. Damit ist das Risiko verbunden, den Bewerber nicht wirklich hinsichtlich der Anforderungen einschätzen zu können und im Zweifel sich selbst auch nicht gut im Gespräch zu verkaufen.
Fallstrick 6
Gerade in der Personalauswahl unerfahrene Führungskräfte möchten oft gerne auf Nummer sicher gehen und sich nicht nur über ein persönliches Gespräch einen Eindruck von Bewerbenden machen. Sie kommen dann z.B. auf Ideen wie spontane Arbeitsproben oder unkoordiniertes Teamrecruiting. Frei nach dem Motto, geben wir dem Bewerbenden doch mal eine Aufgabe und schauen, wie er das macht. Oder wir führen das Gespräch einfach mal mit mehreren der künftigen Kollegen zusammen und stimmen anschließend ab.
Grundsätzlich sind solche Erweiterungsoptionen möglich, aber bitte nicht spontan. Eine Arbeitsprobe sollte gut vorbereitet sein (z.B. Umschreibung des Auftrags und Festlegung der Anforderungen, die damit gemessen werden sollen). Und wenn sollte sie nicht nur von einzelnen Bewerbenden, sondern von allen in einem bestimmten Auswahlschritt absolviert werden. Und beim Teamrecruiting sollten die einbezogenen Teammitglieder vorab gebrieft sein, z.B. um was es geht und was anschließend bewertet werden soll. Fehlen diese “Konstruktionsvoraussetzungen” erhalten die Zusatz-Elemente einen Beliebigkeitscharakter, messen nicht die relevanten Anforderungen. Im Zweifel sind sie nachteilig für die Candidate Experience – insbesondere, wenn man sie ohne Vorankündigung durchführt.
Entscheidungsfindung der Führungsnachwuchskräfte
Fallstrick 7
Gespräche sind geführt, Erweiterungsoptionen ggf. integriert. Und jetzt? An dieser Stelle tun sich viele Führungskräfte schwer. Nicht weil sie entscheidungsunfähig sind, sondern weil es erstens eben sehr selten den perfekten Kandidaten gibt. Und weil zweitens aufgrund der oben genannten Fallstricke eine solide Informationsbasis für eine anforderungsorientierte Auswahl fehlt. Es reicht eben nicht, dass nur die Chemie stimmt.
Dann werden Entscheidungen gerne hinausgezögert, weitere Gespräche geführt und oft gehofft, dass doch noch der eine Ideal-Kandidat vom Himmel fällt. Durch das Hinauszögern geraten die bereits kennengelernten Kandidaten dann nicht selten in eine Warteschleife – und springen bei nächster Gelegenheit ab. Zusätzliches Risiko: eine kritische Bewertung aufgrund zu langer Prozessdauer auf Bewertungsportalen wie Kununu & Co.
Daher ist es wertvoll für Führungsnachwuchskräfte zu wissen, wie man Auswahlentscheidungen strukturiert herbeiführen und dadurch leichter treffen kann.
Bewerberfeedback durch Führungsnachwuchskräfte
Fallstrick 8
Neulich wollte ich einem Kandidaten ein abgestimmtes Feedback nach Interview geben und erfuhr, die Führungskraft hat es schon gemacht und ihm gesagt, dass er sich für einen jüngeren Kandidaten entschieden hat, der besser zum Team passen würde. Autsch! Hier sind zwei Dinge total schlecht gelaufen: ein unkoordiniertes Feedback, dass dem Kandidaten keinen guten Eindruck vom internen Zusammenspiel gegeben hat. Aber noch viel problematischer war der genannte AGG-kritische Absagegrund. Ich konnte durch das Gespräch mit dem Kandidaten die Begründung der Absage noch in eine andere Richtung lenken und entschärfen. Wer weiß, welche rechtlichen Konsequenzen sonst noch gedroht hätten.
Bewerberfeedbacks sind wichtig und am Besten sollten sie auch durch die Führungskraft gegeben werden. Aber dazu muss klar sein, wie ein gutes Bewerber-Feedback gegeben wird, welche rechtlichen Punkte zu beachten sind und wie man mit unterschiedlichen Reaktionen der Bewerbenden umgehen sollte.
Was für Führungsnachwuchskräfte in der Startphase hilfreich ist
Gehen wir nochmals an den Anfang und die Aussage der Führungsnachwuchskraft zurück “Wahrscheinlich geht man davon aus, dass man das einfach kann.” Die o.g. Beschreibungen zeigen: ja, klar kann man das irgendwie. Und auch so manche Einstellung kam so zustande. Wie nachhaltig oder schöngeredet sei mal dahingestellt. Aber eine gute Begleitung neuer Führungskräfte im Recruitingprozess tut oft Not. Daher plädiere ich schon seit langen, dass zumindest ein Interviewtraining in jedes Führungsnachwuchsprogramm gehört. Oder Führungsnachwuchskräfte in ihrem Budget eine Position erhalten, um sich selbst in dem Thema fortzubilden.
Und ich setze noch eins oben drauf: Es gilt Führungskräfte nicht nur einmalig in Recruitingthemen fit zu machen. Sie sollten am Anfang auch durch einen erfahrenen Recruiter oder HR’ler intensiv begleitet (gecoacht) werden. Und anschließend kann ein regelmäßiges Abschlussgespräch nach Stellenbesetzung zur “Manöverkritik” implementiert werden. Das ist eine ebenso gut investierte Zeit wie das Briefinggespräch am Anfang des Recruitingsprozesses.
* Auch wenn wir zu Gunsten der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Nutzung aller Genderformen verzichten, meinen wir immer alle Geschlechter.